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Die sanfte Stasi-Beauftragte

Ulrike Poppe stellte sich den Fraktionen vor und stieß überall auf Zuspruch

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Bereits jetzt erhielt Ulrike Poppe eine E-Mail mit einer Anfrage zur Rückübertragung von Eigentum. Dabei ist sie zur ersten Stasi-Beauftragten des Landes Brandenburg noch gar nicht gewählt. Die Abstimmung im Landtag erfolgt erst morgen. Die Wahl der Frau, die zu mehreren DDR-Oppositionsgruppen gehörte, gilt aber als sicher. Am Dienstag stellte sich Poppe nacheinander in allen Fraktionen vor. Überall wurde ihr Unterstützung signalisiert.

Die Grünen ließen bei dem Termin Journalisten zu, die Sozialisten taten das auch, denn sie tagen ohnehin in aller Regel öffentlich. Selbst die CDU, bei der das nicht üblich ist, entschied sich kurzfristig, die Presse hineinzulassen. Darum ist es möglich, ein Stimmungsbild zu zeichnen.

Poppe erzählte bei den drei genannten Parteien ungefähr das selbe. Es schien aber doch so, als ob sie sich in den Nuancierungen danach richtete, mit wem sie es jeweils zu tun hatte. Trotzdem: Die designierte Beauftragte sprach hier wie dort von Versöhnung und differenzierter Betrachtung. Bei einem Informellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) müsse man betrachten, ob er unter Druck Angaben machte oder denunziatorischen Eifer an den Tag legte, wie lange er mit der Stasi zusammenarbeitete, ob er sich noch zu DDR-Zeiten lossagte und vor allem, wie er nach dem Ende des Staates dazu stand.

Poppe erzählte, sie habe 1973/74 selbst einen Anwerbeversuch erlebt und wisse daher, wie leicht man in eine solche Rolle gelangen könne. Sie berichtete von Veranstaltungen in Schulen, wo die Kinder und Jugendlichen sehr interessiert gewesen seien, doch es habe oft die Kenntnis gefehlt und es sei den jungen Menschen nicht gelungen, in ein Bild zusammenzubringen, was sie in den Medien über Mauer und Stacheldraht hören und am Abendbrottisch von den Eltern über das Alltagsleben in der DDR. 90 Prozent der Bürger seien schließlich »normale« Menschen gewesen; weder Opfer noch Täter.

Die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig gestand: Differenzieren, das könne sie schon gar nicht mehr hören. Man habe »eine ganze Generation verloren«, weil 20 Jahre »unter den Teppich gekehrt wurden«. CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski sagte, er habe großes Verständnis für IM. Erst am Vortag habe er sich mit dem Sohn eines Mannes getroffen, der als Aufseher im Cottbuser Gefängnis arbeitete. (Nach dem entdeckten Versuch einer Republikflucht hatte Dombrowski einst in dieser Anstalt gesessen.) Der einstige Aufseher habe auf dem Sterbebett gefragt: »Was habe ich gemacht?« Das treibe den Sohn nun um. 20 000 ehemalige IM leben in Brandenburg, schätzt Dombrowski. Es wäre gut, wenn diese einen Weg finden, sich von ihrem Geheimnis zu befreien, findet er. Dass hält ihn aber nicht ab von einem verbalen Angriff auf »IM-Politprofis«, die man mit den anderen IM nicht in einen Topf werfen dürfe.

Ulrike Poppe gehörte zu den ersten, die im Januar 1992 ihre Stasi-Unterlagen einsehen konnten. 40 Aktenordner wurden vor sie hingestellt, in denen 80 Namen von IM sowie Zersetzungspläne vorkommen. Später tauchten noch zehn weitere Aktenordner auf. Wegen »landesverräterischer Nachrichtenübermittlung« saß sie 1983/84 in der MfS-Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen. Nach Protesten wurde sie ohne Prozess freigelassen. Ihr damaliger Anwalt hieß Gregor Gysi.

Trotz der bitteren Erfahrungen machte Poppe in der Wendezeit gerade im Vergleich zu anderen Bürgerrechtlern einen vernünftigen und besonnenen Eindruck. Als Studienleiterin für Politik und Zeitgeschichte bei der Evangelischen Akademie lud sie seit 1991 immer wieder auch SED-Funktionäre, hohe MfS-Offiziere und IM ein, um auch diese Seite zu Wort kommen zu lassen. »Natürlich sagen die Akten nicht immer die Wahrheit«, gestand Poppe auf eine Nachfrage des Abgeordneten Dieter Groß (Linkspartei). Die Berichte seien subjektiv gefärbt und man müsse sie kritisch lesen.

Versöhnung könne für Opfer etwas Befreiende haben, weiß Poppe und bedauert, dass sie mit dem Stasi-verstrickten Ibrahim Böhme, dem Vorsitzenden der ostdeutschen Sozialdemokraten, nicht ins Reine gekommen ist. Böhme, der zu ihrem Freundeskreis gehörte, habe sich verweigert, obwohl ihm das Sterben bestimmt leichter gefallen wäre, wenn er sich geöffnet hätte, meint Poppe.

Jetzt wird ihr vorgeworfen, sie erhalte den Posten der Stasi-Beauftragten nur, weil sie eine »sanfte Frau« sei. Poppe möchte jedoch kein »Feigenblatt« sein. Sie formuliert klare Forderungen. Für zunächst sechs Monate sind für ihre Dienststelle Büros in der Potsdamer Steinstraße angemietet. Das liegt ihr zu weit ab vom Schuss. Sie möchte in die Innenstadt. Außerdem will sie unabhängig sein vom Bildungsministerium, bei Äußerungen gegenüber der Presse nicht vorher Rücksprache nehmen und selbst Personalentscheidungen treffen, sich nicht nur aus dem Überhang des Ministeriums bedienen. Auch Fördermittel an Bürgerinitiativen und Projekte würde sie gern vergeben. Mit wenigen Vorbehalten versprechen ihr die Parteien all das. Ulrike Poppes Verhandlungsposition ist denkbar gut. Nach dem Theater um Stasi-Fälle in der Linksfraktion wäre es schwer möglich, ihr etwas abzuschlagen.

»Meine Stimme hätten Sie«, versichert Justizminister Volkmar Schöneburg (Linkspartei). Aber Schöneburg darf nicht votieren. Er ist kein Abgeordneter.

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