Kopftuch-Streit in Kairo
Islamische Autorität verbietet Gesichtsschleier
Streit um das Kopftuch gibt es nicht nur in christlichen, sondern auch in islamischen Ländern. Die kürzlich getroffene Entscheidung der ägyptischen Regierung, den Gesichtsschleier aus einigen akademischen Institutionen zu verbannen, hat in dem nordafrikanischen Land eine Debatte um Persönlichkeitsrechte entfacht.
Die Kontroverse begann mit dem Besuch des Großscheichs und Imams Mohammed Sayyed Tantawi in einer Mädchenschule. Dort forderte er ein elfjähriges Mädchen auf, seinen Gesichtsschleier abzulegen. Als Begründung führte er an, das Tragen des sogenannten Niqab sei keine Pflicht, sondern Tradition. Tantawi gilt als oberste religiöse Autorität des sunnitischen Islams. Er ist der geistliche Vorsitzende der Al-Azhar-Universität und -Moschee. Kurz nach seinem Besuch der Mädchenschule verbot der Oberste Rat der Al-Azhar den Niqab in allen ihm unterstehenden Schulen und Schlafsälen seiner Universität in Kairo. Dort, wo sich nur Mädchen aufhalten, bestünde kein Anlass, den Gesichtsschleier zu tragen, hieß es. Nur eine Minderheit der muslimischen Gelehrten halte das Tragen des Kopftuchs für eine Pflicht. Mädchen sollen keine Kleiderordnung auferlegt bekommen, teilte der Rat mit.
Auch in den Schlafsälen staatlicher Universitäten soll nun das Kopftuchverbot gelten. Als Begründung gab Bildungsminister Hani Hilal »Sicherheitsprobleme« an. »Die Studenten obliegen meiner Obhut, und ich möchte sie schützen«, so der Minister. Zu der Entscheidung habe ihn bewegt, dass in letzter Zeit gehäuft Männer versucht hätten, in die Frauenschlafsäle einzudringen, indem sie sich mit Hilfe eines Kopftuchs als Frau verkleideten.
Bei jenen Studentinnen, die in der Regel einen Gesichtsschleier tragen, machte sich Entrüstung breit. »Wir sind bereit, aus Sicherheitsgründen unsere Kopftücher am Eingang der Schlafsäle abzunehmen. Aber im Schlafsaal wollen wir sie tragen – das wird uns allerdings verboten«, erzählt die 21-jährige Studentin Amira Hasan. »Laut Verfassung dürfen Frauen nicht dazu gezwungen werden, den Niqab abzulegen«, erklärt Hossam Bahgat, Leiter der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte in Kairo.
Für Bahgat sind die Sicherheitsgründe nur vorgeschoben, in Wirklichkeit gehe es um Glaubensfragen und die Auslegung des Islams. »Diese Maßnahmen werden letztlich nur dazu führen, den Extremismus zu bestärken«, so Bahgat. »Das zeigt wieder einmal, dass die Führung der Al-Azhar und insbesondere Tantawi nicht unabhängig sind«, ist Zaghloul Al-Nagar, Mitglied des Rats für islamische Angelegenheiten der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), überzeugt. »Tantawi ist ein Angestellter der Regierung«, polemisierte er in der unabhängigen Tageszeitung »Al-Dustour«. Seit Tantawi 1996 von Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak als Al-Azhar-Vorsitzender eingesetzt wurde, habe er stets der Regierung nach dem Mund geredet.
Auch Hamdi Hassan, der für die Muslimische Bruderschaft im ägyptischen Parlament sitzt, zweifelt an der Unabhängigkeit Al-Azhars. »Wenn der Großscheich von Al-Azhar nur Regierungsanweisungen befolgt, gebührt ihm unser Respekt nicht.« Nach Ansicht Hassans ist die dem Islam kritisch gegenüberstehende Regierung beunruhigt, weil sich immer mehr Frauen den Gesichtsschleier anlegen. Zwar gibt es keine offiziellen Statistiken darüber, wie verbreitet der Niqab ist, aber es ist offensichtlich, dass er in den Straßen Ägyptens immer häufiger zu sehen ist. Auch Bahgat sieht hier den Grund, warum die Regierung nun so vehement gegen den Schleier vorgeht. »Wenn sie sich tatsächlich für gleiche Rechte von Frauen und Männern einsetzen will, dann muss sie dies tun, ohne repressive Maßnahmen anzuwenden.«
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