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Bad im Wald

Wien: Vera Nemirova inszenierte Verdi

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Internet vergisst nichts. Der Buh-Orkan der Wiener Premieren-Society gegen Vera Nemirovas Staatsopern-Inszenierung des »Macbeth« von Giuseppe Verdi hallt ordentlich nach im World Wide Web. Im Hause selbst sind alle Stürme verflogen, sogar bis zu lastender Windstille verhaucht.

Allerdings leidet der Abend tatsächlich unter immer wieder mal durchhängender Spannung und einigen merkwürdigen szenischen Aktionen. Vielversprechend der Beginn. Scharf geschnitten, dann dunkel samtig leuchtend und atmend der Klang des Orchesters der Wiener Staatsoper unterm jungen Hausdirigenten Guillermo Garcia Calvo schon bei der Ouvertüre. Er akzentuierte die dunklen Farben und scharfen Attacken, verlieh den scheinbaren Harmlosigkeiten einen vibrierenden Unterton. Messerscharf, aufregend das von der Trompete angeführte Fugato der finalen Kampfszene.

In diesen nächtigen Kontext passt auch Nemirovas einheitlicher Handlungsort. Es ist der zu Tode verkohlte und verdorrte Wald von Birnam mit seinen mächtigen Baumstämmen; wie eine schwarze Kathedrale gebaut von Johannes Leiacker und eindrucksvoll beleuchtet von Manfred Voss. Ist der Wald schon unheimlich, so ist eine Lichtung in seiner Mitte vollends surreal, zeit- und raumenthoben. Ein Theaterchen steht dort, später werden sogar ein Badezimmer und eine Festtafel auftauchen.

Zuerst aber erscheint eine intellektuell-künstlerische, schräge Damengesellschaft am magischen Ort: Malerinnen, Fotografinnen, Journalistinnen, Modelle, also die Hexen. Macbeth und Banquo erhalten ihre Prophezeiungen. Nun erscheinen Badewanne, Dusche auf der Lichtung von Birnam; das Bad ist Ruheraum der Lady Macbeth, intimes Empfangszimmer für den heimkehrenden Ehemann, hier wird der Königsmord geplant. Dem im Mörderhaus einkehrenden, etwas deftig schottenkarierten König Duncan wird ein Schaumbad eingelassen, er badet, wie man eben so badet – Skandal in Wien, obwohl reichlich Dienerschaft große Handtücher schwenkt. Schließlich muss das Duschwasser Lord und Lady vom Blut des Königs reinigen, bevor Macbeth, wie wahrgesagt, König wird.

Auf sein Geheiß geistert nun eine dubiose Männergesellschaft im schwarzen Wald herum. Herren im Trenchcoat, die Mörderbande gegen Banquo. Sie tragen rote Clownsnasen, weiße Handschuhe und Luftballons; Verdi komponierte den lustigen Schlapphüten eine launige Gavotte, in die hinein böse Flötentriller pfeifen. Fürchterlicher kann man gegen Banquos kleinen Sohn nicht zu Felde ziehen. Er entkommt trotzdem. Banquo stirbt, wird aber gemäß Hexenwort »Vater von Königen« sein.

Auch das Bankett beim neuen König Macbeth hat Vera Nemirova mit Doppelbödigkeit inszeniert. Der erlebt einen Seelen-Looping hinab zur irrwitzigen Angst vor der Vision des toten Banquo und ganz nach oben hinauf zum Herrn über Leben und Tod. Er erschießt die Mörder, die Lady singt dazu.

Im zweiten Teil verliert der Abend deutlich an Spannung. Der zweite Hexenauftritt ist, abgesehen von der erstmals in Wien gespielten Balletteinlage, während derer sie ihr zweites Orakel als Theatersketch durchprobieren, konventionell. Eine Reihe Schlipse schleudernder Tanten in weißen Bademänteln undHandtuchturbanen auf den Köpfen ist einfach nicht aufregend; schwach auch die Wiener Chordamen. Die Wahnsinns- und Todesszene der Lady, ebenfalls schlicht inszeniert, leidet vor allem unter mangelnder Präsenz der Sängerin Erika Sunnegardh. Der Trauerchor der Schotten über Macbeths Tyrannei hat reichlich theatralische Tragik.

Erst im Finale findet die Regisseurin zur Eindringlichkeit zurück. Ein Äxte schwingender Slow-Motion-Kampf fällt die Reste des Waldes von Birnam, Macbeth singt sich in nachtkalter Marmorgruft seinen einsamen Todesgesang.

Dafür ein letzter Szenenbeifall für den großartigen Simon Keenlyside. In dieser Inszenierung, deren schönster durchgehender Zug eine unter aller Schwärze strahlende Liebe zwischen Macbeth und seiner Frau ist, verkörpert er den idealen Macbeth, sich selber treibend und getrieben, ehrgeizig und doch dünnhäutig. Stimmlich geschmeidig war er kein dröhnender, tönender, sondern ein singend Verzweifelnder. Erika Sunnegardh ist eine viel zu lyrisch und leichtstimmig besetzte Lady. Bemerkenswert im Ensemble der kleineren Rollen Stefan Kocan als bleischwarzer Banquo und Dimitri Pittas als vielversprechend tenorstrahlender Macduff.

Nächste Vorstellung: 26. 12.

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