Spaghetti und Techtelmechtel
Claus Peymann inszenierte am Berliner Ensemble Goldonis »Trilogie der schönen Ferienzeit«
Ferien können zum Graus werden. Wenn sie das Leben sein müssen, das endlich stattfinden möge. Wenn sie Steigerungsform der Existenz sein sollen, die ansonsten im Geschäftigen verrinnt. Der Urlaub als Droge: Raus und Rausch! All inclusive.
Es trug sich in diesem Jahr zu, dass Claus Peymann in der Sommerfrische weilte und Rolf Hochhuth, mit seinem Plan für hochpolitisches Theater, vor geschlossenen Toren des BE stand. In der Verachtung, die er gegen den Hausherrn dröhnte, kam auch Goldoni vor: Den wolle dieser Herr P. nun inszenieren, wahrlich, »mutig, mutig in diesen Zeiten!«
Jetzt ist er da, dieser Goldoni, die »Trilogie der schönen Ferienzeit«. Abreise. Die schöne Ferienzeit. Rückkehr. Drei Kapitel – über vier Stunden (!) Theater, Regie: Claus Peymann, Bühne: Karl-Ernst Herrmann. Man mag an Tschechows Sommerlandsitze denken, an Gorkis Sommergäste: Langeweile, Überdrehtheiten, unkontrollierte Leidenschaften, in heißer Lust kalte Herzen. Man entflieht tristen Wahrheiten, aber sie sind der Igel im Spiel mit dem Hasen. Man kommt an, doch entkommt sich nicht: Das Ich reist mit und bleibt, in schönster Gegend, die unwirtliche Weltstelle.
Ein weiter Weg von Goldoni zu Tschechow, von hüpfender italienischer Commedia zu eher lägriger russischer Melancholie. Da jetzt also zwischengeschaltet: der deutsche Regisseur – Verbindungsmann zwischen tolldreist grober Verknotung der Stränge und Psychogrammen Verzweifelter, Liebeshoffender, Standesverdorbener. Goldoni kommt aus dem Süden, Peymann aus dem Norden, Tschechow aus dem Osten, das Thema ist der Westen. Welt-Theater sozusagen – nun ja, der Begriff mag jetzt etwas in die Irre führen, dies Ereignis bleibt auf dem Berliner Teppich, auch wenn es ans Wasser geht.
Dorthin fährt Herr Filippo mit Tochter Giacinta, der junge Leonardo auch, mit seiner Schwester Victoria. Leonardo liebt Giacinta und wird sie heiraten, aber da ist auch noch Herr Guglielmo, und wer ebenfalls mitfährt: die heftige Eifersucht Leonardos. Es wird Streit geben, komische Situationen, in Goldoni steckt auch ein Feydeau, ein wenig Ohnsorg-Theater (aus dem Norden wie Peymann), die Satire hat eine Affäre mit dem Schwank. Am Ende geht die Liebe zugrunde, die keine sein darf, jene Liebe zwischen Giacinta und Guglielmo – die Tragödie in der Komödie. Es ist die bürgerliche Tragödie: Vor alles und vor jeden ist ein Preis gesetzt; Treue führt in den Abgrund, Untreue ins Nichts. Einander zu lieben heißt: handelseinig zu werden; Vernunft bedeutet: Geschäftssinn zu haben. Ein Stück aus dem Kapitalismus der Aufmerksamkeit: Schein ist mehr als Sein; Präsenz ist alles, auch wenn nichts dahintersteckt. Was immer man tut, man tut so. Geradezu erschreckend (Herr Hochhuth!), wie akut Goldoni ist.
Das ist ein Gedanke, den man ganz gemächlich denken kann. Peymann lässt die Komödie an langer Leine und mit schnappenden oder beiseite sprechenden Stimmen umhertollen, Männer in Pappkartons plumpsen, Duelle mit Regenschirmen ausfechten, Spaghetti-Fäden in Koffer werfen. Er legt viel Ulkzeit an, für die sich anstauenden traurigen Momente. Seine Regie greift nicht zu, sie lehnt sich eher zurück und sichert den Raum ab, den sich Schauspieler nehmen mögen für ein Spiel, von Einfällen unbedrängt. Dies Gemächliche, Blanke, Unaufgeregte inmitten des vordergründig Lustigen mag man bieder nennen – Peymann nimmt das Stück, er nimmt es nicht bloß als einen Anlass. Wer mit seinem eigenen Witz-Verständnis in einen nicht gar zu großen Widerspruch gerät zu jener Geradlinigkeit dieses Regisseurs, die in Altersmilde überging – der wird nach vier Stunden als Belohnter gehen. Theater in der Balance von Gaukelspaß und maßbetontem Grimm; noch im satirischen Zugriff: gütiges Erbarmen.
Karl-Ernst Herrmann hat in die neonröhrenumrahmte Szene einen leeren Salon gebaut, mal ist es das Haus Filippos, mal das Haus Leonardos, an den Seitenfenstern wird es später, im dritten Kapitel der Dämmerungen und Verschattungen, hereinregnen, hereinschneien; das mittlere Kapital spielt in einer Front von Liegestühlen, auf dem Prospekt weit hinten: hitzekündende Dunstfarben und Segelboote. Hier treten sie auf, treten einander in den Weg, treten einander zu nahe, treten einander mit Füßen, obwohl sie Hand und Floskel zum Gruß ausstrecken, hier tanzen sie Polonaise oder jagen Luftschlangenraketen bis in den Zuschauerraum: Schranzen der Repräsentationssucht, Chargen des Wohlstandes, Giergirls des Amüsements, dummes reiches Volk. Zerrieben wird dazwischen wahre Jugend, wahres Gefühl, wahre Liebe.
Peymanns spielende Truppe erweist sich erneut als Mischung aus Stützen des Hauses, großartigen Gästen und immer wieder jungen Darstellern, die Peymann präzise, glaubwürdig in die Kontur führt – so war sein BE stets auch Sprungbrett für Karrieren anderswo; das Ensemble inmitten dieses Konflikts aus Weilen und Wechseln lebendig gehalten zu haben, gehört zu den Verdiensten dieses Theaterdirektors und prägt auch den Charakter der jüngsten Inszenierung.
Katharina Susewind ist eine forsche, gleichsam windfühlige Giacinta, die geradezu höllisch herzerfrischend das Kapitalgesetz der Gesellschaft verinnerlicht. Den Standespflichten opfert sie ihre Liebe zu Guglielmo, man kann regelrecht zusehen, wie sie ihr Herz einfriert, aber einen Kern von Verzweiflung scheint sie im Eis der Einsicht einzuschließen, der auf eine andere Zeit wartet, um vielleicht als neuer Hoffnungskeim aufzugehen. Der Leonardo des Lucas Prisor ist ein früh zerbrühter, ausgelaugter, fader Katechist des Rationalen, Sabin Tambreas Guglielmo dagegen ein augenhöhlendunkler Schwermutsmensch, beeindruckend bereit zur unabwendbaren Tragik.
Carmen-Maja Antoni, zerblähte Lustwitwe aller Landsitze, und Martin Seifert, ein Herr Filippo der totalen Willenlosigkeit, der das Aussprechen des Wortes »Techtelmechtel« zu einer Urszene moralischer Erschütterung zerkaut, dazu noch Christopher Nell als mitreisender Hänflings-Gigolo und Witwenjäger – sie sind die »Absahner«, wenn die Inszenierung dauerkomische Zustände bekommt. Ursula Höpfner-Tabori ist das Urbild der guten Kammerjungfer, und Manfred Karge gibt als Herr Fulgenzio sonor, gotteseitel und süffisant ungerührt einen städtischen Freund, ein Ordner der Verhältnisse, und Ordnung heißt: Geld schafft Geltung, Liebe ist eine Frage von Vertragsparagrafen. Corinna Kirchhoff, die schöne, tiefe Stein- und Breth-Spielerin, berückend und brüllend ungewohnt: ein bis ins Dauermaskenkichern geliftetes Partywrack!
Nächste Vorstellung: 27.12.2009
Karten erhältlich unter: www.berliner-ensemble.de
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