Mit Che Guevara und Arschleder

Über den neuen Landrat in Oberspreewald-Lausitz entscheidet erstmals eine Direktwahl

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen«, heißt es. Doch Martina Gregor-Ness möchte sich die Vision eines sauberen Seenlandes inmitten eines riesigen Bergbaugebiets nicht nehmen lassen. Die SPD-Landtagsabgeordnete zitiert den Revolutionär und Guerillakämpfer Che Guevara: »Manchmal muss man das Unmögliche verlangen, um das Mögliche zu erreichen.« Gregor-Ness, einst Betriebsingenieurin für die Entwässerung im Braunkohlentagebau Meuro und verheiratet mit SPD-Generalsekretär Klaus Ness, will Landrätin in Oberspreewald-Lausitz werden. Die Abstimmung findet am 10. Januar statt.

Erstmals entscheidet nicht der Kreistag über die Vergabe des Postens. Zwar gab es Bestrebungen, den Nachfolger des abgewählten Landrats Georg Dürrschmidt (CDU) noch schnell in diesem Jahr durch den Kreistag zu bestimmen. Es wäre dann wohl auf den amtierenden Landrat Titus Faustmann (SPD) hinausgelaufen.

Doch eine Bürgerinitiative sammelte 12 000 Unterschriften und erreichte damit die Verschiebung der Wahl auf Anfang 2010. Ab dem kommenden Jahr sind in Brandenburg Direktwahlen der Landräte durch die Bürger vorgeschrieben. Auch in anderen märkischen Landkreisen wird am 10. Januar abgestimmt. Die Bürgerinitiative fordert die Wähler nun auf, wirklich ihr Kreuz zu machen. Der Sieger benötigt nämlich nicht nur die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Es müssen ihn auch mindestens 15 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt haben. Erfüllt kein Kandidat diese beiden Bedingungen – auch nicht in der Stichwahl –, dann wäre wieder der Kreistag am Zug und die ganze Mühe umsonst gewesen.

Das ist auch der Grund, warum Linksfraktionschef Reiner Vogel auf eine anständige Wahlbeteiligung hofft: Damit es hinterher kein Argument gebe, die Direktwahl wieder abzuschaffen.

Der schon vom Dienst suspendierte Landrat Dürrschmidt musste gehen, nachdem das Amtsgericht Senftenberg ihn wegen des Besitzes von Kinderpornografie zu einer Geldstrafe verurteilt hatte. Dürrschmidt bestreitet die Vorwürfe allerdings. Er legte Revision ein. Einen Kandidaten aus ihren Reihen stellte die CDU nicht wieder auf. Sie nominierte stattdessen den parteilosen Schipkauer Bürgermeister Siegurd Heinze. Die FDP und die Freien Wähler unterstützen diesen Vorschlag. Der Kandidat betont: »Ich war, bin und bleibe parteilos.« Deswegen geriet er schon in ein Wortgefecht mit Gregor-Ness, die ihm vorwarf, er betreibe Etikettenschwindel und zeige nicht das Rückgrat, in eine Partei einzutreten.

Siegurd Heinze arbeitete in der DDR als Ingenieur im Tagebau Klettwitz-Nord und in einem Kraftwerk. Er lebt in Meuro auf einem Vierseithof, auf dem sein Großvater bis 1970 Landwirtschaft betrieb. In der vergangenen Woche verlieh ihm die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft den Titel eines Ehrenbergmanns. Zur Zeremonie gehörte der traditionelle Sprung über das Arschleder, mit dem Bergleute ihren Hosenboden schützten.

Anders als Martina Gregor-Ness und Siegurd Heinze kommt der Bewerber der Linkspartei nicht aus der Braunkohle. Wolf-Peter Hannig ist Lehrer für Naturwissenschaften und Sonderpädagoge für Verhaltensstörungen an der Senftenberger Bernhard-Kellermann-Oberschule. In der Stadt lebt der 1956 Geborene mit kurzen Unterbrechungen schon seit 1957. Er hat nach eigenem Bekunden »alle Phasen der aufstrebenden und dann zusammenbrechenden Kohleindustrie mit ihren Auswirkungen erlebt«.

In seiner Freizeit betätigt sich Hannig als Imker oder spielt Schach. Als Landrat hätte ihn seine Partei schon vor ein paar Jahren gern gesehen. Doch bei der damaligen Abstimmung im Kreistag hatte Hannig keine Chance. Er schaffte es angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der Absprachen zwischen den Parteien nicht einmal in die Stichwahl gegen den späteren Sieger Dürrschmidt. Schon damals hieß es von den Genossen, Hannig genieße hohes Ansehen und hätte bei einer Direktwahl viel bessere Aussichten. Nun kommt es zu einer solchen Direktwahl. Dabei drängt es den Lehrer gar nicht so sehr in die Rolle eines Berufspolitikers. Er ist sehr gern Pädagoge. 1990 zog er zwar in die letzte Volkskammer der DDR ein, gehörte jedoch nicht zu dem Teil der Fraktion, der dann in den Bundestag wechselte. Um ein Mandat in diesem Parlament hat er sich nie bemüht. Doch jetzt benötigte die LINKE einen guten Mann für die Landratswahl und da wollte er sich nicht verschließen. »Wir können doch nicht für die Direktwahl kämpfen und dann keinen eigenen Kandidaten aufstellen«, sagt Hannig. Er nahm die Aufgabe an und er nimmt sie ernst. Wer das Rennen macht, weiß er nicht. Er glaubt, dass alle drei Bewerber etwa gleich gute Chancen haben und rechnet mit einer Stichwahl.

Wenn Hannig gewinnt, dann sollen die Bürger in Zukunft noch mehr mitreden dürfen. Ihm schwebt ein Bürgerhaushalt vor. Vorschläge, Anregungen und Ideen seien willkommen, versichert er und verspricht regelmäßige Sprechstunden. Einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor möchte Hannig und elternbeitragsfreie Schulbusse – im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Außerdem will er sich konsequent dafür einsetzen, dass die Neue Bühne Senftenberg, die Musikschule, die Volkshochschule und die Museen erhalten bleiben. Weitere Stichworte sind gestützte Eintrittskarten für Kulturveranstaltungen, damit sozial Benachteiligte da auch hinein können, Engagement gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie ein humaner Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern.

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