Der Wärter verschwand, die Touristen kommen
Haben die Leuchttürme an der Ostseeküste mit der Automatisierung ihre Seele verloren?
Stralsund. Er war der letzte seiner Zunft: 37 Jahre lang stieg Walter Hoerenz die 82 Stufen des Hiddenseer Leuchtturms hinauf, um den Staub von den Scheinwerferlinsen zu putzen. Seit 1888 und in bewundernswerter Zuverlässigkeit schickt die gläserne Fresnel-Optik in der Spitze des Leuchtturms auf dem Dornbusch bis heute ihr Licht über die See – erkennbar noch in knapp 50 Kilometern Entfernung. Für Hoerenz, den letzten Leuchtturmwärter Deutschlands, war hingegen vor elf Jahren Schluss. Mit 65 Jahren verließ er einen der vermeintlich einsamsten und zugleich wohl romantischsten Arbeitsplätze. Sein Berufsstand wurde Opfer zunehmender Automatisierung.
Leistungsstark und wartungsarm
Jahrhundertelang galt der Wärter als Seele der Leuchttürme. Erst füllte er das Petroleum in die Brenner, wachte nachts in der Leuchtturmspitze darüber, dass das Licht nicht erlosch. Im 19. Jahrhundert wurden die ersten Glühlampen in die Laternen der Leuchttürme gedreht.
Damit gerieten die Wärter schon ein erstes Stück ins Abseits. Die heutigen Lichtquellen sind besonders leistungsstark, benötigen kaum Wartung und gelten als energieeffizient. Moderne Entladungslampen übertreffen mit ihrer Lebensdauer von 10 000 Stunden herkömmlichen Glühlampen um das Zehnfache. Betrieb und Überwachung der Leuchttürme erfolgen automatisch und ferngesteuert vom Festland aus.
Hat der Leuchtturm heute seine Seele verloren? »Ach wissen Sie«, sagt Hoerenz, »das ist so eine Sache.« Die Deutschen seien Meister darin, sich schnell von Traditionen zu trennen. Dann holt der 76-Jährige tief Luft: Wichtig sei doch, dass die Leuchttürme noch heute ihr Licht rhythmisch in die Dunkelheit senden. »Es ist Tradition, dass es an den Küsten nicht dunkel ist.«
Lichterkette an der Außenküste
Das wird auch weiter so bleiben. Modernste Satellitentechnik, GPS und Radar haben zwar längst den Sextanten an Bord ersetzt. Trotzdem: Der Leuchtturm sei ein visuelles Seezeichen, auf das man derzeit nicht verzichten könne, erklärt der Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes (WSA) in Stralsund, Holger Brydda. Wie lange noch, sei aber angesichts der fortschreitenden Technisierung ungewiss.
»Ich kann nicht garantieren, dass die Leuchttürme noch in 150 Jahren für die Schifffahrt arbeiten«, sagt Brydda. Für die nächsten Jahren sei aber kein Verkauf eines der Türme an der mecklenburg-vorpommerschen Ostseeküste geplant. Sechs Leuchttürme stehen an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern, in Buk (Nordwestmecklenburg), Warnemünde, Darßer Ort sowie auf den Inseln Hiddensee, Rügen und der Greifswalder Oie. Die Leuchttürme bildeten an der Außenküste eine Kette, so dass nachts immer mindestens ein Leuchtturm zu sehen sei, erklärt WSA-Mitarbeiter Dirk Berger.
Während oben die Lampen noch jede Nacht leuchten, erobert von unten die Zukunft die denkmalgeschützten Gebäude. Alle Türme sind für Touristen zugänglich. Rund 300 000 kommen jedes Jahr, wiegen sich in Seefahrerromantik, heiraten oder genießen den fantastischen 360-Grad-Rundumblick. Sie bringen Eintrittsgelder in die Kassen, die jedoch die Erhaltungs- und Wartungskosten von 30 000 bis 50 000 Euro pro Jahr nicht deckten, erzählt Berger. Dass die Leuchttürme an der Küste verschwinden wie deren Wärter, glaubt keiner. Doch, dass sie angesichts der Technisierung der Schifffahrt immer mehr von ihrer Funktion als Seezeichen einbüßen, ist schon Realität.
Der Leuchtturm in Travemünde zeigt, dass es eine Zukunft gibt, auch wenn das Feuer nicht mehr als Orientierungshilfe für Schiffe blinkt. Weil ein Neubau die Sicht versperrte, verlor der Turm bereits 1972 seine Funktion als Seezeichen. Das Leuchtfeuer kam auf ein benachbartes Hotel. Der 1539 erbaute und im 19. Jahrhundert erneuerte Gebäude ist heute Museum und Aussichtspunkt.
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