Noch so ein alter Schröder-Trick

SPD übt die »Wir-haben-verstanden«-Methode

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Die SPD im Jahr 2009: Sie findet sich am vorläufigen Ende einer Talfahrt, die in diesem Jahr ein Tempo erreicht hatte, dass es die Partei aus der Kurve trug. Ruhmloses Ende eines elfjährigen Regierungsversuchs.

Gern wird in journalistischen Beschreibungen als Beleg der Zerrüttung der SPD das Geständnis von Sigmar Gabriel zitiert, dass er vor kurzem noch nicht mal die Handynummer von Andrea Nahles, der neuen Generalsekretärin der Partei, kannte. Jetzt kennt er sie. Und? Was hat sich damit geändert?

Es war nach der Europawahl 1999, als Gerhard Schröder das damals als miserabel geltende Wahlergebnis von knapp über 30 Prozent der SPD demütig mit den Worten kommentierte: »Wir haben verstanden.« Danach erst folgten die Jahre der Agendapolitik. Heute versucht Parteichef Gabriel zumindest den Eindruck zu erwecken, die SPD sei eine völlig andere als noch vor drei Monaten, als die Bundestagswahl am 27.September ihr Schicksal als Regierungspartei besiegelte. Gerade mal 23 Prozent waren Ausweis der verbliebenen Wählersympathien – von einst knapp 41 Prozent im Jahr 1998. In diesen elf Regierungsjahren hat die Partei zehn Millionen – die Hälfte aller ihrer Wähler – verloren. Doch nicht nur die laufen ihr davon, sondern auch die Mitglieder. 200 000 sind es, die der SPD seit 1998 den Rücken gekehrt haben.

Das Jahr begann schon mit einer Niederlage, als die Kandidatin der Partei, Gesine Schwan, bei der Bundespräsidentenwahl in der Bundesversammlung am 23. Mai dem Wiederbewerber Horst Köhler unterlag. Es folgten die Europawahl, sechs Landtags- und acht Kommunalwahlen, nach denen – mit Ausnahme einiger Kommunalwahlergebnisse – sich immer das gleiche Bild bot: Über den Trümmern der Resultate erhoben sich rasch die SPD-Luftballons mit den Losungen vom »Weiter so«. Was beinhaltete: die Verteidigung der Sozialreformen, des Kriegseinsatzes in Afghanistan und der Abgrenzung von der LINKEN. In Thüringen kulminierte die Ignoranz des Wählers in der Bildung einer Großen Koalition mit der CDU, obwohl eine rot-rot-grüne Alternative rechnerisch möglich und zum Greifen nah war.

Nun, nach dem K.o. bei der Bundestagswahl, übt sich die SPD kurioserweise erneut in Schröderschem Erbe durch Übernahme seiner Reaktion auf das Wahlergebnis von 1999. »Wir haben verstanden«, so muss man die Bekundungen des neuen Führungspersonals deuten, das sich weitgehend aus bisherigen Unterstützern des Schröder-Kurses zusammensetzt.

Den Vorwürfen eines autoritären Stils der letzten Jahre begegnet die neue Führung mit der Ankündigung, nun werde erst mal gründlich die Basis befragt. Regionalkonferenzen zur Regeneration. Inwieweit die Basis Andrea Nahles dazu bewegen wird, in den Niederlagen der letzten Jahre mehr zu sehen als die falsche Gangart auf einem richtigen Weg, wird sich zeigen. In ihrem soeben vorgestellten Buch »Frau, gläubig, links« legt sie ihre Analyse der Niederlage dar: »In den Kämpfen um die Agenda 2010 und die Rente mit 67 hat sich die SPD – ohne es zu wollen – darauf verengt, Sozialstaatspartei zu sein. Gleichzeitig hat sie die Auseinandersetzung um die Zukunft des Sozialstaats aber in einer technizistischen Manier geführt, die ihr eigentliches Anliegen – die Bewahrung und Modernisierung des Sozialstaats – nicht mehr erkennen ließ. Ganz unabhängig davon, wie gut die Einzelpolitiken waren, die wir gemacht haben.«

Der Wähler erlebt zu seinem Erstaunen mittlerweile eine verwirrende Abkehr der SPD-Führung von ihren bisherigen »Einzelpolitiken«. Plötzlich kündigt Gabriel an, die SPD werde einer weiteren Verstärkung der Kampftruppen in Afghanistan nicht zustimmen. Enthaltung statt Entsendung. Gerade ein Vierteljahr aus der Bundesregierung ausgeschieden, kündigt Gabriel einen breiten Widerstand gegen die Finanzpolitik der schwarz-gelben Koalition an. »Wir brauchen eine Bürgerbewegung gegen den Staatsbankrott in Deutschland«, sagt er – nachdem die Regierung aus Union und SPD der Bundesrepublik den größten Schuldenzuwachs ihrer Geschichte beschert hat; durch die Stützung der Banken im Verein mit den Konjunkturpaketen der Regierung. Bundestags-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wettert, 2009 habe die Wirtschaft 50 000 Ausbildungsverträge weniger als im Vorjahr abgeschlossen. Eine Ausbildungsplatzumlage hat die SPD in ihrer Regierungszeit verhindert. Hölzern klingen auch die Attacken auf die Regierung zum Thema Mindestlohn, den die SPD selbst nicht eingeführt hat, als sie konnte.

Und so bietet die Partei am Ende des Jahres 2009 ein Bild des Jammers nicht nur wegen ihrer Schwäche, sondern weil niemand mehr so recht auf ein Schröder-Wort vertrauen mag. Selbst wenn es ein reumütiges »Wir haben verstanden« ist.

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