Kohlegegner mit Stasi-Vorwurf angeschwärzt
Der Brandenburger Linkspolitiker Pagel kandidiert als Landrat. Die Konkurrenz fordert den Verzicht auf die Bewerbung
Dieter Friese (SPD) hat die besten Aussichten, Landrat im Landkreis Spree-Neiße (Brandenburg) zu bleiben. Er verfügt über den Amtsbonus. Als wenn dies nicht reichen würde, gerät sein ärgster Konkurrent Diethelm Pagel (LINKE) kurz vor der Abstimmung am Sonntag in Schwierigkeiten. Der Ältestenrat des Kreistags erhielt Post von der Stasi-Unterlagenbehörde. Demnach soll Pagel während seines Armeedienstes 1975 eine Berufung zum Gesellschaftlichen Mitarbeiter Sicherheit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) unterschrieben und – mit Unterbrechungen – bis 1986 Berichte abgegeben haben, geht aus einer Pressemitteilung der Kreisverwaltung hervor.
Der 57-Jährige betont, er habe lediglich dienstliche Kontakte zur Staatssicherheit gehabt und keine Berichte geschrieben. Mit der Hilfe eines Anwalts möchte er nun Einsicht in die Akten nehmen. Das Berufungsschreiben gebe »definitiv« nicht wieder, dass er damit ein Mitarbeiter des MfS geworden sei – und darum habe er bislang auch nicht geglaubt, ein solcher gewesen zu sein. »Bis gestern war mir nicht bewusst, dass man diese Unterschrift so deuten kann.«
Mehrfache Werbeversuche
Zur Zeit der Unterschrift am 19. November 1975 habe er gerade einmal 14 Tage seines Grundwehrdienstes in einer Ausbildungskompanie der Nationalen Volksarmee abgeleistet. Er habe einen Major und einen Leutnant gelobt und von einem Gefreiten gesagt, dass dieser betrunken zu Brutalität neige. Später – als Parteisekretär des Bereichs Kader/Ausbildung im Chemiefaserwerk Guben – habe man ihn nach Beurteilungen gefragt, wenn Lehrlinge studieren oder Matrose werden wollten. »Ich erinnere mich, dass ich den Jugendlichen in solchen Fällen helfen wollte.« Es sei mehrfach versucht worden, ihn als Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) anzuwerben. Das habe er aber abgelehnt. Der Kandidat wirkt bereits seit 1993 als Linksfraktionschef und er ist darüber hinaus Parteivorsitzender im Kreisverband Lausitz, zu dem neben dem Kreis Spree-Neiße auch die kreisfreie Stadt Cottbus gehört.
Zu den stellvertretenden Kreisvorsitzenden gehört der Landtagsabgeordnete Jürgen Maresch. Dieser erzählte, Pagel habe seit 1990 angegeben, dass er dienstliche Kontakte hatte. Die aufgetauchten Berichte seien nicht unterschrieben. Dort soll lediglich der Vermerk »gesprochen« stehen. Diethelm Pagel habe ihm versichert, keine Berichte verfasst zu haben, und das glaube er ihm »in Kenntnis der Person«, sagte Maresch. »Für mich gilt die Unschuldsvermutung.« Er sehe keinen Grund, warum Pagel seine Kandidatur zurückziehen sollte. Diese Erwartung hat Landrat Dieter Friese unter Hinweis auf die »politische Hygiene« geäußert. Auch Grünen-Landeschef Benjamin Raschke forderte von Pagel, dass er verzichtet.
»Das bisher Veröffentlichte ist für uns nicht neu. Seit den 90er Jahren war bekannt, dass er dienstliche Kontakte hatte«, erklärte die LINKE-Landesgeschäftsführerin Maria Strauß.
Ein ehemaliger MfS-Führungsoffizier erläuterte dem ND, worum es sich bei einem Gesellschaftlichen Mitarbeiter Sicherheit (GMS) handelte. »So jemand sammelte Stimmung und Meinung. Das waren Leute, zu denen wir fast schon offiziellen Kontakt hatten. Wir suchten sie an ihren Arbeitsplätzen auf, manchmal telefonierten wir auch nur.« Konspirative Treffs habe es nicht gegeben. Vor Wahlen oder Staatsbesuchen habe die Führung wissen wollen, wie das Volk denkt. Dabei sei es oft um die manchmal schlechte Versorgung mit Konsumgütern gegangen. Wenn die Vorgesetzten »Stimmung und Meinung« verlangten, habe man mit zwei oder drei GMS gesprochen und das dann selbst zusammengefasst. Eigentlich seien die Gespräche gar nicht notwendig gewesen, diese Tätigkeit habe im Ministerium als lästig gegolten, sagte der ehemalige Offizier. Man habe auch so gewusst, wie die Stimmung gewesen sei. Namen seien in solchen Berichten in der Regel nicht erwähnt. Als GMS habe man etwa Parteisekretäre geführt oder Leute, die mit Lehrlingen zu tun hatten.
Ungleicher Wettbewerb
Seine Wahlchancen seien durch die Stasi-Vorwürfe gesunken, weiß Pagel. »Das lässt sich nicht heilen.« Der Kampf gegen Friese schien schon vorher ein sehr ungleicher zu sein. Pagel schrieb einen Bürgerbrief, die Genossen hängen Plakate auf, verteilen 58 000 Postkarten. Aber mit der professionellen Kampagne des SPD-Platzhirschs kann sich das nicht messen.
Der Bekanntheitsgrad des Landrats sei hoch und Friese könne auf Erfolge verweisen, bestätigte Pagel. Doch der SPD-Mann sei nicht der alleinige Vater dieser Erfolge. Andere haben mitgewirkt – in der Verwaltung und im Kreistag. Pagel rechnete sich ursprünglich Chancen aus und traute sich zu, Friese abzulösen und eine sozial gerechte Politik anzustreben.
Die Wahlhilfe der Rapper
Doch Friese genießt prominente Unterstützung. »Mein Vertrauen hat er, Ihres braucht er noch«, wirbt Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Und die Rapper von »On Air Muzik« singen: »Hey Leute, denkt daran: Am 10. Januar ist die Wahl, ihr wählt den Landrat, zum ersten Mal. Da gibt es einen, der ist 16 Jahre im Amt, und der hat auch seinen Job ganz gut in der Hand.« Gemeint ist Friese. Schon 1990 avancierte der Bauingenieur, der erst beim »Neuen Forum« mitmachte und dann in die SPD eintrat, zum Landrat. Seit 1994 hat Friese diesen Posten im Kreis Spree-Neiße. Er verweist auf die millionenschwere Sanierung und den Bau von Straßen, Radwegen und Schulen. Bei seinen Zielen nennt er die weitere Nutzung der Kohle zur Stromerzeugung.
»Die Braunkohleförderung in unserem Landkreis bleibt ein bedeutender Wirtschaftsfaktor«, meint auch Drebkaus Bürgermeister Harald Altekrüger (CDU). Der frühere Lehrausbilder und Bereichsleiter der TÜV-Akademie bewirbt sich ebenfalls um den Posten des Landrats. Pagels Position zur Kohle ist eine andere. »Die Fragen einer zukunftsfähigen Energiepolitik sind für unseren Landkreis von großer Bedeutung«, unterstrich er. Es gehe ums Klima, um die Heimat und um Arbeitsplätze. »Mir ist klar, dass das nicht leicht zu vereinbaren ist«, räumte er ein. »Ich bin jedoch der festen Überzeugung, es ist möglich.« Er stehe für eine Politik, die erneuerbare Energien vorrangig fördert und damit neue Arbeitsplätze schafft. Ein mittelfristiger Ausstieg aus der Braunkohle – Pagel nennt das Jahr 2040 – sei »realistisch«.
Das Job-Argument
Dass 8300 Menschen im Landkreis ihre Brötchen im Tagebau und in den Kohlekraftwerken verdienen und dass noch mehr Arbeitsplätze als diese von der Braunkohle abhängen, ist Pagel bewusst. Das Argument, man dürfe nicht sichere Jobs leichtfertig aufgeben, hört er auch aus der eigenen Partei. Er möchte es nicht einfach vom Tisch wischen. Aber überzeugt ist er doch: »Wenn jetzt nicht politischer Druck ausgeübt wird, dann gibt es keinen Wechsel zu den erneuerbaren Energien.« Vattenfall sei dies egal. Der Energieriese interessiere sich nur für seinen Profit.
Es gibt Menschen, die überlegen, ob die Stasi-Anschuldigung in einem Zusammenhang mit dem Engagement Pagels gegen die Kohle steht. Beweisen kann das jedoch niemand, und darum will es auch keiner öffentlich sagen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.