Druckraum entzweit Kreuzberger Mischung

Die Debatte um ein geplantes Suchthilfezentrum in der Reichenberger Straße tobt unvermindert weiter

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die evangelische Ölbergkirche am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg hat einige turbulente Veranstaltungen erlebt. »Einmal haben hier Polizisten und Autonome diskutiert«, erzählt Pfarrer Jörg Machel. Nach der Veranstaltung standen dann zwölf Polizeifahrzeuge mit zerstochenen Reifen vor der Tür, so der Seelsorger. Derart hochgekocht verlief die Diskussion über die Einrichtung eines Gesundheits- und Suchthilfezentrums in der Reichenberger Straße zwischen rund 80 Anwohnern und Interessierten in der Kirche am Mittwochabend zwar nicht, doch im Dezember war es bei einem ähnlichen Treffen bei der Organisation Zuhause im Kiez (ZiK) zu aggressiven und sehr unschönen Szenen gekommen. Deshalb bot sich diesmal die Kirche als Austragungsort an.

Wie im ND mehrfach berichtet, plant der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen neuen Druckraum für Heroin-Abhängige einzurichten. Seit im vergangenen Sommer der Drogenkonsumraum des Vereins Fixpunkt in der Dresdener Straße geschlossen wurde, steht für die Heroin-Szene am Kottbusser Tor lediglich ein Bus am Moritzplatz zur Verfügung, in dem sich die Abhängigen sauber und unter Aufsicht ihren Schuss setzen können. »Wir brauchen aber ein Hilfs- und Ausstiegsangebot, das auf die Suchtprobleme am Kottbusser Tor reagiert, die es seit den 80er Jahren gibt«, erläutert Gesundheitsstadtrat Knut Mildner-Spindler (LINKE). Das geplante Suchthilfezentrum soll zudem auch die anderen beiden Drogenkonsumräume Berlins entlasten. Trotz finanzieller Anreize war jedoch kein privater Eigentümer bereit, dem Bezirk eine Räumlichkeit in Nähe zur Szene zu vermieten. Dass der Bezirk sich letztlich für ein ihm gehörendes ehemaliges Schulgebäude in der Reichenberger Straße entschied, rief inzwischen drei Bürgerinitiativen auf den Plan, die sich gegen den Standort wenden.

Wobei sich an diesem Abend in der Ölberg-Kirche alle Bürger und Vertreter grundsätzlich einig sind, dass es eines Druckraums für die Heroinabhängigen bedarf. Dies stellt niemand ernsthaft in Frage, das sind dann aber auch schon alle Gemeinsamkeiten: Über das Wie und vor allem das Wo gehen die Meinungen im immer wieder als tolerant-alternativ charakterisierten Kiez weiter meilenweit auseinander.

»Wir sind gegen diesen Standort gegenüber von zwei Grundschulen«, bekräftigt Katja Schlesinger von der Bürgerinitiative Reichenberger Kiez ihren Standpunkt. Die Gruppe hatte sich bereits im November öffentlichkeitswirksam mit einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gewandt – und damit massiv Front gegen den Druckraum gemacht. Schlesinger wehrt sich jedoch gegen eine Berichterstattung, nach der lediglich einige gebildete »Bio-Deutsche« soziale Probleme nicht vor ihrer Haustür haben wollen. Dies sei falsch. »Bei uns machen auch viele türkische Mitbürger mit«, sagt Schlesinger. In den Kirchenraum sind an diesem Mittwochabend allerdings nur wenige Migranten gekommen. Ob dies an der schlecht kommunizierten Einladung oder am Desinteresse in den Communities liegt, wird unterschiedlich beurteilt.

Hilmi-Kaya Turan, Beisitzer im Vorstand des türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), glaubt, dass viele Migranten nicht wissen, dass diese Diskussionsrunden überhaupt stattfinden. Obwohl gerade bei den häufig sozialschwachen Zugewanderten Ängste vorhanden sind, dass durch den Konsumraum mehr Heroin-Abhängige angelockt werden könnten. »Dieser Druckraum gefährdet auch die Entwicklung der Migrantenkinder«, behauptet eine türkische Migrantin, die ebenfalls bei der Bürgerinitiative Reichenberger Kiez mitmischt. Ein Anwohnerin, deren Tochter in die dem umstrittenen Standort gegenüberliegende Niederlausitz-Grundschule geht, befürchtet, dass mühsam errungene Integrationserfolge der vergangenen Jahre gefährdet sind. »Der Druckraum wär das Todesurteil gegen die Initiative, diese Schule wieder attraktiver zu machen.«

Nach erster Apathie haben sich inzwischen aber auch die Befürworter des Druckraums formiert. Alternative Wohnprojekte und Kneipen bezogen dezidiert und frei nach dem Motto »Druckraum ja! – Carloft nein!« Position. »Wir sind für den Drogenraum, weil wir hoffen, dass dadurch keine Spritzen auf dem Spielplatz liegen«, sagt auch Pamela Wild von der Kita in der Regenbogenfabrik. Ihrer Meinung nach müssten die Kinder lernen, mit den Abhängigen und diesem Problem umzugehen, schließlich würden die Kinder diesen Menschen bereits jetzt täglich am Kottbusser Tor begegnen.

»Hier ist der Ort, sie können die Menschen nicht verladen«, stellt die Linkspartei-Abgeordnete Minka Dott klar. Die ganze Debatte erinnere sie sehr an das Jahr 2005, als die ersten Drogenkonsumräume in der Stadt eingerichtet wurden. Aus der praktischen Erfahrung danach hätten sich dann die Befürchtungen zerstreut. Von diesem Zustand ist man in der Ölberg-Kirche nach zwei Stunden Debatte indes noch weit entfernt. Eng bedruckt sind die Pro- und Contra-Papiere auf den Flipcharts. In knapp zwei Wochen soll die Diskussion deshalb zwischen Kreuzberg und Kreuzberg weitergehen.

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