»Shut up and dance! Reloaded« in Bestform
Das Staatsballett präsentiert seine jungen Choreografen an der Komischen Oper
Was den jungen Choreografen des zeitgenössischen Bereichs die Tanztage in den Sophiensaelen, ist denen vom Staatsballett die Reihe »Shut up and dance! Reloaded«. Dem harten Kern sowie Neulingen bietet sie schon im dritten Durchgang Förderung, mit der Komischen Oper ist die Spielstätte nun edler geworden. Dort geriet die Ausgabe zur besten seit Begründung 2005, vielleicht weil den Kandidaten eine Bühne vertrauter ist als etwa eine Nobeldisko.
Fast alle sieben Beiträge thematisieren differente zwischenmenschliche Beziehungen. Nur das Opening widmete sich der Hommage an zwei Pionierinnen der elektronischen Musik. Wie viele ihrer Kollegen vertraute auch Kathlyn Pope einem Designer den Kostümentwurf an. Ihr »Space Control Area, for interest only!« führt die Theremin-Virtuosin Clara Rockmore und die Musikerin Delia Derbyshire ein, verwirrt jedoch eher und bleibt in der showhaften Präsentation stecken. Tiefer lotet der 2009 verstorbene Sebastian Nichita in seinem für den ersten »Shut up« entstandenen »Among Myselves«. In einer Zimmerecke entlädt sich zu Live-Cello die Spannung zwischen einem Paar, angeheizt durch die Konfrontation mit potenziellen anderen Partnern. Eng, dicht, sensibel hat Nichita in nebligem Licht Figuren mit quälerischen Gefühlen geformt, der Ausbruchsversuch der Frau scheitert.
»Feelings of X+1=3«, das Debüt von David Simic, spürt Begehren und Abstoßen zweier Liebender in Rot auf. Sicher sind sie sich ihrer Gefühle nicht, denn zwei kesse Girls und ein zweiter Mann stiften Verwirrung. Hinter Schals wechseln jeweils die Partner, dicht fließt zu klagenden Streichern des Balanescu Quartetts die ganzkörperliche Bewegung. Wenn sich Maria Boumpouli und Leonard Jakovina am Ende doch noch in der Boden-Umarmung finden, hat Simic seinen leisen »Shut up«-Einstand bestanden. Dramatischer, kämpferischer ist Patrick Soluris Musik für Xenia Wiests »To be continued« und ihre sechs Tänzer. Atmosphärischer Nebel und stimmiges Licht fast ohne Schatten auch in dieser Studie um die Beschwerlichkeit der Partnersuche, mit athletischem Formenkanon für die Männer, Spitze für die Frauen, oft drei identischen Paaren in attraktiver Raumposition. Klagvoll gebeugt, die Füße einwärts, wie die Heldin am Anfang stand, endet sie: Niemand erlöst sie aus ihrer Einsamkeit.
Den jungen Gruppentänzern Anissa Bruley und Kévin Pouzou bietet Martin Buczkós Duett »Will« die Chance solistischen Einsatzes. Vor der Projektion eines wandernd sich vergrößernden Mondes tasten sie nach Liebe, ein Nachtstück der mitunter rätselvollen Art zu asiatischem Klang, dann Klavier. Zu seiner eigenen Musik modelliert Buczkó die Gestalten. Als der Mond erlischt, stoppt auch der Zauber; separat laufen die beiden ab, wenngleich in dieselbe Richtung. Der reifste Beitrag des Drei-Stunden-Abends verdankt sich Tim Plegge als Gast. »Sonett XVIII« beschwört zu filigraner Klaviermusik von Philipp Glass die Erinnerungen eines Mannes an verflossene Freundschaften und besticht durch subtile Charakterzeichnung. Nadja Saidakova ist feinfühlig die Muse, auch sie entzieht sich dem Mann.
Saidakova selbst steuert mit »Egopoint« das 50-minütige Finale bei. Neun Tänzer gruppiert sie um ein meterhohes Dreieck aus Aluminium: auf der Spitze drehender Zirkel, Segel, zum Schluss Rettungsboot, erhoffte Zuflucht, begehrter Aufenthaltsort. Mit großem Aufwand an farbigem Licht, tänzerischem Material und Flugakrobatik gestaltet die Choreografin zu Technopop von Luke Slater und mit vorzüglichen Tänzern einen Egotrip. Noch indes gelingt die Einbindung aller Elemente in eine überzeugende Aussage nicht durchgängig. Der Weg dahin zeichnet sich ab.
Wieder am 23.1., 3. und 8.2., 20 Uhr, Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte, Kartentelefon 206 09 26 30, Infos im Internet unter: www.staatsballett-berlin.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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