45 Patienten am Tag
Zahl der Arztkontakte ist erneut gestiegen
Es soll Menschen geben, die es innerhalb der ca. 90 Tage eines Quartals auf 60 Arztbesuche bringen. Sie sind natürlich die Ausnahme. Im Mittel gehen die Deutschen 18,1 Mal im Jahr in eine Ambulanz, das sind 4,5 Kontakte in drei Monaten. Im Jahr zuvor waren es noch 17,7 Mal. Errechnet wurden diese Zahlen vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) Hannover anhand der Abrechnungsangaben über 1,7 Millionen GEK-Versicherte, das sind rund zwei Prozent der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung.
Rund 1,5 Milliarden Arztbesuche im Jahr bei ungefähr 140 000 ambulanten praktizierenden Ärzten ergeben für den Mediziner 224 Patienten pro Woche und ein durchschnittliches Zeitkontingent von acht Minuten pro Mensch. Hier stellt sich für den ISEG-Wissenschaftler Thomas Grobe die Frage, ob sich nicht mancher Arztbesuch durch eine längere Behandlungszeit erübrigen dürfte. Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender GEK-Vorsitzender, sieht in den Zahlen des Reports zunächst ein Indiz für eine gute medizinische Versorgung und für eine hohe Patientenzufriedenheit. Man müsse sich aber auch fragen, ob die im Vergleich mit anderen Ländern doppelt so hohe Zahl der Arztbesuche in Deutschland auf zu viele Ärzte, eine Über-oder Fehlversorgung, Koordinierungsmängel oder Steuerungsprobleme hinwiesen. Einige Experten halten die Zahlen für den krassen Beleg einer angebotsinduzierten Nachfrage, andere wiederum lesen aus ihnen Ärztemangel und Honorierungsdefizite ab. Daten aus den USA geben 102 Patientenkontakte pro Arzt und Woche an, für Großbritannien sind es 154. Interessant ist, dass es Friedrich-Wilhelm Schwartz vom ISEG-Institut zufolge keinen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen der Zahl der Arztkontakte und der Gesundheit der Bevölkerung gibt. Er meint, dass hierzulande finanzielle wie organisatorische Steuerungselemente nur geringe Barrieren für die Inanspruchnahme der ärztlichen Konsultationen sind.
Rolf-Ulrich Schlenker will die Hausarztversorgung besser gestalten, da sie ihre Steuerungsfunktion bisher nicht erfüllt hat. Die Praxisgebühr würde er am liebsten ganz abschaffen, wenn er wüsste, wodurch die eingebüßten Einnahmen – für die Barmer / GEK immerhin 200 Millionen Euro – ersetzt werden könnten. Nein zur Praxisgebühr und Ja zur Kopfpauschale, wie es sich bei Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler anhöre, sei jedoch ein »Zusammenhang, der uns als Kassen nicht gefallen würde«, so der Kassenvorstand.
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