Hamburger Brückenschummel
Wie die Hansestadt um den Ruf als »Venedig des Nordens« kämpft
»Sämtliche, fast alle von Holz erbaute Brücken innerhalb der Unglücksstätte waren zerstört oder doch unpassierbar, so dass man vom Oster- nach dem Westerteil der Stadt in den ersten Tagen der Katastrophe nur über die Lombards- und Slamatjen- oder Schaarstor-Brücke gelangen konnte.« In den 1907 veröffentlichten »Erinnerungen aus meiner Jugend« nimmt Berend Goos’ Schilderung des Großen Brands vom Mai 1842 breiten Raum ein. Das Feuer vernichtete ein Drittel der Hamburger Altstadt, forderte 51 Todesopfer und machte 20 000 Menschen obdachlos.
Die Katastrophe brachte trotz allen Leids auch etwas Gutes: einen riesigen Modernisierungsschub. Es entstanden breitere Straßen, Steinhäuser und Pläne für eine Infrastruktur mit geregelter Wasser- und Energieversorgung. Die Stadt erfand sich neu. Am augenfälligsten waren die Veränderungen bei den Bauwerken, die den zahlreichen innenstädtischen Wasserflächen geschuldet sind: den Brücken.
Nach 1842 ersetzten Steinbauten die feueranfälligen, nur begrenzt haltbaren Holzbrücken. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand in Hamburg ein moderner Welthafen. Die ab 1861 einsetzende starke Zunahme von Gewerbebetrieben und das Bevölkerungswachstum erforderten leistungsstärkere Verkehrswege.
Von 1872 bis 1901 erschlossen neue Eisenbrücken die Innenstadt und die neuen Stadtteile an der Alster, die Speicherstadt und den Hafen. Hamburg mauserte sich zum drittgrößten Hafen der Welt nach London und New York. Bis 1926 wurden drei Elbbrücken erstellt. Vom Zeitalter des Massenverkehrs künden der Bau des Hauptbahnhofs 1909, der Landungsbrücken 1910, der Mönckebergstraße und des Elbtunnels 1911. Besonders die als U-Bahn geplante Hochbahn benötigte zahlreiche Überführungen. Deren Brücken und Viadukte prägen bis heute das Bild der Stadt, besonders in Hafennähe. »Die meisten der heute etwas 2500 Brücken entstanden im Zuge der Großstadtentwicklung Hamburgs seit Mitte des 19. Jahrhunderts«, schreibt der Präsident der Hamburgischen Ingenieurskammer Peter Bahnsen im Vorwort des Katalogs zur Ausstellung »Hamburg und seine Brücken«, die noch bis zum 18. Juli im Museum der Arbeit zu sehen ist.
Heute versuchen die Strategen der Hamburg-Marketing möglichst viele Touristen in die »brückenreichste Stadt Europas« zu locken. »Alles eine Frage der Zählweise«, sagt Museumssprecher Jan Haack augenzwinkernd: »Laut Definition des Landesbetriebs Straßen, Brücken und Gewässer sind auch die Schilder über den Autobahnen Brücken. Entscheidend ist hier die Spannweite.« Mitgezählt werden zudem die zahlreichen Rohrbrücken, die die Fernwärme- und Wasserleitungen der Stadt tragen. Weil der Landesbetrieb seine Brückenstatistik seit 2000 nach neuen Kriterien erstellt, wird die Mogelpackung immer größer. Nun werden zweispurige Brücken mit einer mindestens einen Zentimeter breiten Längsfuge zwischen den Überbauten doppelt gezählt.
Ein großer Schub beim Brückenbau erfolgte in der Ära von 1909 bis 1933. Wohnsiedlungen, öffentliche Einrichtungen wie Bäder und Sportplätze schossen wie Pilze aus dem Boden. Sie wurden mit Parks und Verkehrswegen zu einer neuen Stadtlandschaft verknüpft. Durch das Großhamburg-Gesetz von 1938 gehörten nun auch die bis dahin eigenständigen Städte Altona, Wandsbek und Harburg zu Hamburg. Die Zahl der Brücken wuchs dadurch auf 1200, von denen im zweiten Weltkrieg aber viele zerstört wurden. In der NS-Zeit entstanden nur noch wenige Brücken, die letzte 1941. Sie diente Kriegszwecken.
In der Ausstellung werden die verschiedenen Phasen des Brückenbaus nicht nur anhand bisher zum großen Teil unveröffentlichter Pläne und Fotos anschaulich gemacht. Die Besucher werden auch zum Mitmachen eingeladen, betont Haack: »Sie können an den Modellen ausprobieren, wie Druck- und Zugkräfte auf eine Brücke einwirken und sich mit verschiedenen Fertigteilen beim Brückenbau versuchen. Spätestens wenn alles einstürzt, erkennen sie, welche grandiose Ingenieurkunst sich in den Bauwerken verbirgt.«
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