Du musst jrölen, also singen
Inge Keller über Ernst Busch, der vor 110 Jahren geboren wurde
Es war schrecklich. Das behütete Bürgertöchterchen, lebenslang bisher ohne Not, trifft auf Busch, auf einen Helden, einen Kommunisten, der gekämpft hatte für Frieden und Gerechtigkeit. Dazu die Rolle der Fucikova. Doppelte Weltfremdheit. Ich sehe mich noch heute mit dem Busch auf der Banke sitzen, ja, ich war ein einziger Krampf, nichts im Kopf. Das war ja nun das Richtige für Busch: einen Menschen neben sich, der nichts im Kopf hat! Der Westen schrieb böse über diese Inszenierung. Verlässlich antikommunistisch.
Dann spielte ich die Emilia – Busch als Jago, Willy A. Kleinau als Othello. Wenn man heute die Stimme von Ernst Busch hört, wird sie wieder wach, die Zeit der Hoffnung, die Zeit des Glaubens an eine glückvolle Weltveränderung.
In der Zeit der »Othello«-Proben hatte ich nachmittags bei Busch anzutreten und mit ihm die Passagen des Jago und der Emilia durchzugehen. Und es gab kein anderes Gesprächsthema als die Arbeit. Der hat mit einer unnachahmlichen Chuzpe jeden, den er greifen konnte, gepackt, mitgenommen – und für seine eigene Arbeit ausgenutzt. Frühproben, Abendproben und nachmittags zu Busch. Man musste sich hinsetzen, musste stundenlang Tonbänder anhören, fantastische Tonbänder. »Du musst jrölen«, sagte er eines Tages. Grölen? »Na, singen!« Er wollte mich als Partnerin. Es wurde daraus nichts, ich konzentrierte mich total aufs Theater. Ein Versäumnis, denke ich heute.
Wie probte Busch? Er kam auf die Proben anmarschiert mit seiner Baskenmütze, immer mit Baskenmütze. Das war schon mal eine Art von Verfremdung, und wenn er wütend war, zog er sich diese Mütze tief ins Gesicht, sagte: »Mahlzeit!« und haute ab. Stapelweise unterschiedliche Shakespeare-Übersetzungen schleppte er an, diskutierte. Ich fragte mich, wann fängt er endlich an zu probieren? Ehe der einen Satz sagte, tat sich ein riesiges Vorfeld auf, ein Vorfeld aus Büchern, und das beackerte er, ohne sich stören zu lassen.
Busch litt als Schauspieler an seiner Gesichtsverletzung. Er hatte eine kleine runde Bürste, eine, in die man so reinschlüpft mit der Hand, rund war sie und aus Gummi, und vor jeder Vorstellung stand er in meiner Garderobe vorm Spiegel, er schnitt Grimassen, wahnwitzige Grimassen, wirklich, und er bürstete, bürstete.
Irgendwann sagte ich: »Busch, was machen Sie da. Wirklich, man sieht da gar nichts.« Er darauf: »Du dämliche Ziege, red doch nicht solchen Quatsch!« Busch war früher ein Bild von einem Mann gewesen, aber er war etwas schief im Gesicht. Verursacht durch einen Sturz in den Keller, nach einem Bombenangriff aufs Gefängnis in Moabit, in dem Busch inhaftiert war. Er hat also gebürstet und gebürstet in der Garderobe und getobt: »Mit dieser Fresse kann man doch nicht rausgehn! Guck dir das doch an!« Er hatte große Pein, mit diesem Gesicht fertigzuwerden.
Eines Tages saß Franz Dahlem in der ersten Reihe des Zuschauerraumes, Busch guckte durchs Loch im Vorhang, und er fiel mir weinend um den Hals: »Dahlem sitzt unten, der Franz – ach, Gott, was wir mit dem gemacht haben!« Ich hatte keine Ahnung, wer was mit diesem Franz Dahlem gemacht hatte. Ehemals Politbüro-Mitglied, in der Noel-Field-Affäre abgesetzt. Ein Stalinismus-Opfer.
Von Busch habe ich gelernt, dass man nicht lügen darf auf der Bühne. Man muss jedenfalls immer wieder versuchen, es nicht zu tun. Zum Schluss von »Othello« sagt Jago: »Von jetzt ab sage ich kein Wort mehr.« Ich lieg als tote Emilia da und denke: Was macht denn der Busch bloß? Der sagt einfach nur auf. Keine Gestaltung. Bloßer Text nur. Das kann man doch nicht machen, denk ich. Irgendwann, drei Wochen später oder vier – da hatte er den betreffenden Satz, der lebte plötzlich; noch heute kriege ich Gänsehaut. Das heißt: Busch hat, bevor er keinen Gestus für den Satz hatte, nur aufgesagt. »Ist doch nicht schlimm«, sagte er, »die Leute hören doch Shakespeare.«
Bei der Premiere war ich heiser. Aber es wurde ein großer Erfolg. Busch klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Na, Kleene, wenn de heiser bist, biste janz jut.«
Nach einem Gespräch notiert von Hans-Dieter Schütt
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