70 Millionen Euro für Fahrgäste
S-Bahn verdoppelt ihre Entschädigungszahlungen / Senat will Ringbahn ausschreiben
Die Erwartungen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) zumindest wurden erfüllt. Er wollte beim Spitzengespräch mit Bahnchef Rüdiger Grube gestern wissen, wie der Fahrplan der S-Bahn zum Normalbetrieb aussieht und mit welchen Entschädigungen die Fahrgäste rechnen können. Beides lieferte Grube. Die Bahn macht weitere 70 Millionen Euro locker und damit das Doppelte der Summe, mit der die Fahrgäste im Dezember für das Chaos entschädigt wurden. Denn es wird noch wenigstens ein Jahr dauern, bis die S-Bahn wieder ihr gewohntes Angebot fahren kann.
Dafür wird sie ihre Leistung in Etappen von derzeit 317 einsatzfähigen Viertelzügen auf 501 bis zum Jahresende »hochfahren«, wie Grube ankündigte. Damit wäre wieder ein normaler Fahrplan möglich, aber noch nicht auf allen Linien die volle Zuglänge. Dies soll erst 2011 erreicht werden. Dafür sind etwa 550 Viertelzüge notwendig. Wann diese zur Verfügung stehen, hängt davon ab, wie schnell es der S-Bahn gelingt, an den Wagen die Räder zu wechseln. Diese gelten nicht mehr als »dauerfest«, deshalb hat sich das Unternehmen zum Wechsel aller 4000 Radsätze entschlossen. Dabei verlässt sich die Bahn nun nicht mehr auf die Hersteller, sondern hat selbst Radsätze entwickelt, mit denen alle Wagen der Pannen-Baureihe 481 ausgerüstet werden sollen. Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) muss die Konstruktion noch abnehmen, dann könnte im April mit dem Einbau begonnen werden.
Die Entschädigungsleistungen orientieren sich an denen vom Dezember, allerdings legt die Bahn noch etwas drauf. Demnach sollen Abo- und Jahreskarteninhaber zwei Monate kostenlos fahren, ebenso Studenten mit Semestertickets. Inhaber von festen Monatskarten bzw. Sozialtickets erhalten für jeweils zwei Monate eine Barerstattung von 15 Euro. Für Kunden mit gleitenden Monatskarten wird deren Gültigkeit um zwei Wochen verlängert. Zusätzlich können alle Kunden an mehreren Wochenenden 2010 mit einem Einzelfahrausweis den ganzen Tag über fahren. Diese Regelungen sollen laut Grube »so schnell wie möglich« gelten, wann genau steht aber noch nicht fest.
Wowereit nannte die Kompensation eine »Selbstverständlichkeit«, wofür die Berliner nicht noch dankbar sein müssten. Diese hätten die »Schnauze voll« von dieser »Schlechtleistung«. Dafür entschuldigte sich Grube erneut und versprach, alles daranzusetzen, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Er sei »guter Dinge«, dass dies gelingen könnte, denn Geschäftsführung und Mitarbeiter würden jetzt an einem Strang ziehen. Die Forderungen ihrer Beschäftigten hat die Bahn erfüllt, indem sie 300 Mitarbeiter eingestellt und Werkstätten reaktiviert hat. Die in Friedrichsfelde werde »längerfristig« offen bleiben, so Grube. Welche weiteren Konsequenzen auch personeller Art es geben wird, will die Bahn am 23. Februar mitteilen. Insgesamt habe die Krise die S-Bahn bereits 156 Millionen Euro gekostet, die neuerlichen Entschädigungen noch nicht eingerechnet, so der Konzernchef.
Für das Land sei damit noch nicht alles erledigt, so ein weiterhin skeptischer Regierender Bürgermeister. Berlin werde deshalb für die Zeit nach 2017 weiterhin die Teilausschreibung des S-Bahn-Netzes vorbereiten. Ein Kandidat dafür wäre die Ringbahn, wie Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) gestern bekannt gab. In einem Jahr soll darüber entschieden werden. Für Februar erwartet Wowereit zudem Ergebnisse bei der Nachverhandlung des S-Bahn-Vertrages. Der Senat will u.a. erreichen, dass die Summe, die der S-Bahn bei Qualitätsmängeln abgezogen werden kann, nicht mehr auf fünf Millionen Euro beschränkt bleibt.
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