Brauner Alltag in der Provinz
Wie Neonazis in ländlichen Gegenden die Normalität verschieben
Rechtsextremismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen ist längt gesamtdeutscher Alltag. Doch gerade im ländlichen Bereich hat sich der Neonazismus gewandelt. Neonazis haben soziale Netzwerke aufgebaut, die alle Bereiche des Lebens umfassen. Im Buch »Stadt – Land – Rechts. Brauner Alltag in der deutschen Provinz« finden sich Beiträge aus verschiedenen Bundesländern, die beschreiben, wie die Nazis vor Ort versuchen, Fuß zu fassen.
Von Thüringen ...
So beschreibt Martina Renner die »Graswurzelstrategie« der Rechtsextremen unter anderem in Eisenach: »Ob sich die Bürgerinnen und Bürger gegen Windkrafträder engagieren oder sich ein Bündnis findet, um gegen eine Theaterschließung aktiv zu werden, die NPD ist dabei.« Für eine Intervention sei es deshalb wichtig herauszuarbeiten, »dass es sich bei derartigen Aktivitäten von Neonazis um Bestandteile einer politischen Strategie handelt, die darauf zielt, langfristig eine Verankerung rechtsextremer Personen, Organisationen und Ideologien im öffentlichen Raum zu erreichen«. Wohin diese Akzeptanz führen kann, zeigen auch drei bisher bekannt gewordene Vorfälle bei historischen Umzügen: Zur Darstellung der NS-Zeit war den Veranstaltern nichts Geschmackloseres eingefallen, als Neonazis in Wehrmachts- und SS-Uniformen aufmarschieren zu lassen.
… über NRW ...
Aufmarschiert sind auch rund 40 Rechtsextreme im nordrheinwestfälischen Stolberg – nahe Aachen – bei einer städtischen »Kehraus-Aktion«. Michael Klarmann beschreibt, wie Neonazis aus der gesamten Region angereist waren, um Straßen zu kehren und Grünanlagen zu putzen. Unter Gröhlen ihrer Kameraden, die sich im Anschluss bei Bier und Bratwurst amüsierten, bekamen sie sogar auf der Rathaustreppe einige Tombolapreise vom Bürgermeister, der anschließend beschreibt, er hätte die rechtsextremen Gäste »am liebsten gar nicht gesehen, aber der Aufruf richtete sich an alle Bürger«. Eben auch an diejenigen, die T-Shirts der »Kameradschaft Aachener Land« mit dem Aufdruck »Eines Tages werdet ihr euch wünschen, wir würden wirklich nur saufen« herumstolzierten oder der »88« (Code für »Heil Hitler«) als Emblem.
… nach Schleswig-Holstein
Auch im hohen Norden nimmt die Akzeptanz rechter Alltagskultur zu. So gibt es zwar beispielsweise antifaschistischen Widerstand gegen den seit 13 Jahren bestehenden »Club 88« in Neumünster, dennoch gehen auch Jugendliche aus dem Stadtteil in den »Club«, beschreibt Andreas Speit. Es sei schließlich sonst nicht viel los, zitiert er ein Mädchen auf der Straße. Und ihr Begleiter sagt: »Die sind da ganz o.k., da kann man halt abhängen«. Die Neonazis selbst hängen nicht ab: Immer wieder gibt es in der Region Übergriffe auf nicht-rechte Jugendliche.
Die Texte gehen insgesamt der Frage nach, ob es sich hier um eine quantitativ neue Entwicklung handelt und ordnen den modernen Neofaschismus als politische Bewegung ein. Denn ihre Unterwanderungsstrategie zeigt Erfolg: Mittlerweile sitzen 250 bis 300 rechtsextreme Abgeordnete in Gemeinde- und Stadträten bzw. Kreistagen. Sie engagieren sich im örtlichen Vereinsleben und in Bürgerinitiativen, übernehmen Ehrenämter, organisieren Kinder- und Jugendarbeit, beteiligen sich an Veranstaltungen oder sitzen im Beirat von Schulen und Kindergärten. In der regionalen Analyse steckt deshalb auch die Stärke des Buches. Denn hier ist es unerlässlich, an einer anderen Normalität zu arbeiten.
Friedrich Burschel (Hrsg.) Stadt – Land – Rechts. Brauner Alltag in der deutschen Provinz. Texte 63 der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dietz Verlag Berlin, 14,90 Euro.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.