Längst fällige Würdigung
Museumspreis ging an KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen
Das preisgewürdigte Informations- und Dokumentationszentrum war im Oktober 2007 als erste Stufe eines zweistufigen »Masterplans« realisiert worden, der zum Ziel hat, Bergen-Belsen als Gedenkort von internationalem Rang zu etablieren. Zeitgleich war eine Dauerausstellung zur Geschichte des Lagers eröffnet worden.
Als »Hölle in der Lüneburger Heide« galt das KZ Bergen-Belsen, das von 1940 bis zur Befreiung durch britische Truppen erst als Kriegsgefangenenlager, dann offiziell als »Aufenthaltslager« für inhaftierte jüdische Häftlinge, in der Tat aber als Durchgangslager zu den Vernichtungsstätten im Osten gedient hatte. Nach der Befreiung 1945 fand es Verwendung als Sammellager für befreite, vornehmlich jüdische Häftlinge, sogenannte »displaced persons«, die nach Palästina, in die USA oder in andere Länder auswandern wollten.
Die Berichte der britischen Soldaten, die am 15. April 1945 das Lager betraten, zeugen von Entsetzen. Sie fanden Berge von Leichen und 60 000 dem Tode nahe Häftlinge vor. Nach der Räumung des Lagers rissen Spezialkommandos die verseuchten Baracken ab und verbrannten alles Mobiliar. Demontiert wurden auch das Krematorium, die Lagerzäune und Wachtürme. Die britischen Behören beauftragten einen deutschen Landschaftsarchitekten, um die auf dem Lagergelände befindlichen Massengräber in eine parkähnliche Landschaft zu gestalten. Das Gelände präsentiert sich, wie es Katja Köhr von der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel beschreibt, wie »ein leer wirkender Ort, ein Friedhof mit Massengrab«
Im Rückblick auf die staatliche Gedenkstättenpolitik nimmt der Umgang mit diesem Ort bis zum jetzigen Zeitpunkt, da sich die Gedenkstätte offizieller Bundesförderung entsprechend dem Gedenkstättenkonzept erfreut, nicht unbedingt einen Ruhmesplatz ein. Wie bei den meisten sich auf westdeutschem Territorium befindlichen Stätten des faschistischen Terrors war es auch in Bergen-Belsen in erster Linie das Verdienst engagierter Bürger, dass das hier Geschehene nicht in Vergessenheit geriet. So wurde 1966 ein kleines Dokumentenhaus eröffnet, das über die Geschichte dieses Konzentrationslagers informierte.
Es dauerte noch einmal fast zwanzig Jahre, bis 1985 ein einstimmig gefasster Beschluss des niedersächsischen Landtages eine wesentliche Erweiterung der Ausstellung vorsah. Als Ziel wurde eine qualitative Verbesserung der Gedenkstättenarbeit und die Erweiterung der Darstellung zum Lager für sowjetische Kriegsgefangene genannt. Das Schicksal der hier einst inhaftierten Soldaten und Offiziere der Roten Armee war bis dahin durch den, wie Zeitgenossen urteilen, »tief sitzenden, durch den Kalten Krieg wiederbelebten Antikommunismus«, fast völlig verdrängt. Dabei liegen, nach Schätzungen des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge, auf dem »Russenfriedhof« von Bergen-Belsen in 14 Massengräbern 50 000 sowjetische Kriegsgefangene. Diese Zahl wird auch auf einem 1946 von der sowjetischen Militärmission errichteten Mahnmal genannt.
Auf dem ab 1935 von der faschistischen Wehrmacht errichteten größten Truppenübungsplatz Europas waren bereits vor dem Überfall auf die Sowjetunion Vorbereitungen zur Schaffung eines Kriegsgefangenenlagers, Stalag XV/3111, unternommen worden. Schon im November 1941, noch nicht einmal ein halbes Jahr nach dem Einmarsch der Hitlerwehrmacht in die UdSSR, waren hier 21 000 sowjetische Kriegsgefangene zusammengepfercht. In selbst gebauten Erdlöchern, Laubhütten oder provisorischen Zelten versuchten sie sich vor Kälte und Unwetter eher erfolglos zu schützen. Bis zum Frühjahr 1942 erlagen 14 000 den unmenschlichen Bedingungen ihrer Haft. Etwa 1500 Kriegsgefangene, Offiziere und Politkommissare, wurden nach einer »Selektion« im Herbst 1941 in das KZ Sachsenhausen überstellt und dort in der Genickschussanlage ermordet.
In der seit drei Jahren fertiggestellten, die Geschichte des Lagers chronologisch darstellenden Dauerausstellung wird nun allen Kriegsgefangenen, vor allem den sowjetischen, die nötige und verdiente Erinnerung und Ehrung zuteil. Dabei konnte auch auf im Militärarchiv der Russischen Förderation aufbewahrte und zur Verfügung gestellte Dokumente wie Sterbebücher und Personalkarteien zurückgegriffen werden.
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