Katastrophen auf drei Etagen

Im Konzerthaus geht Kreneks Oper »Orpheus und Eurydike« in die Senkrechte

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Wann kann man schon vom Rang aus den Orchestermusikern auf Augenhöhe begegnen? Im Konzerthaus war am Freitag ein riesiges, die Orgel verdeckendes Gerüst aufgebaut. Mit drei Ebenen, auf denen sich die Instrumentalisten verteilten. Die Auffächerung des Orchesters in die Senkrechte verlieh der expressionistischen, mal albtraumhaft düsteren, dann wieder fiebrig-überspannten Klangsprache von Ernst Kreneks Oper »Orpheus und Eurydike« eine besondere Wucht.

Karsten Wiegands Inszenierung am Berliner Konzerthaus ist erst die dritte szenische Einrichtung, die das Stück seit seiner Uraufführung 1926 erlebt hat. Noch bis zum Monatsende läuft am Gendarmenmarkt ein Krenek-Schwerpunkt mit mehreren Konzerten und einer Ausstellung.

Der Orpheus-Mythos prägt die Gattung Oper seit ihren Anfängen. Monteverdi, Gluck und Offenbach sind die bekanntesten von unzähligen Komponisten, die die tragische Geschichte des in die Unterwelt reisenden Sängers vertonten.

In Kreneks Oper, der ein Drama von Oskar Kokoschka zugrunde liegt, steht jedoch nicht die Sangeskunst des antiken Helden im Mittelpunkt, sondern die durch Begierde, Hass und Eifersucht untrennbar verzwirbelnde Beziehung zwischen Orpheus und Eurydike. Diesen Handlungsstrang verschränkte Kokoschka zudem mit der Geschichte von Amor und Psyche. Der 25-jährige Krenek vertonte das Drama in einer expressionistischen, frei atonalen Klangsprache, ohne dass er auf Stilhomogenität oder eine durchkonstruierte Form Wert legte. Mal gab er sich hier der Tonmalerei hin, dann wieder der psychologischen Ausdeutung; geballte Dissonanz wechselt mit tonalem Wohlklang.

Auffällig sind die ohrenbetäubenden, apokalyptischen Katastrophenschläge des vollen Orchesters. Sie tauchen überraschend auf, ohne Übereinstimmung mit dem dramatischen Geschehen. Unvermittelt fallen sie über den Hörer her – ganz anders als etwa im fast gleichzeitig entstandenen »Wozzeck« von Alban Berg, der ähnliche Klänge in eine ausgeklügelte Form einband.

Merkwürdig ist auch das herbei erzwungene Happy End: Nachdem Eurydike ihren Orpheus erwürgt hat, folgt ein Nachspiel mit Flöten- und Harfen-Wohlklang, das die Wiedervereinigung von Psyche und Amor feiert – ein Ausklang, der mit dem Vorhergehenden nicht in Bezug zu setzen ist.

Die Beteiligten werden von Lothar Zagrosek, der auf einem zwei Meter hohen Podest vor dem Orchesteraufbau thront, souverän zusammen gehalten. Einfühlsam sorgt der Dirigent dafür, dass die Klangwogen des Konzerthausorchesters nie die Sänger übertönen.

Musikalisch ist der Aufführung nicht anzumerken, dass die drei Hauptdarsteller ihre Partien in wenigen Tagen einstudierten, um für erkrankte Kollegen einzuspringen. Da sieht man es Daniel Kirch (Orpheus) und Brigitte Pinter (Eurydike) nach, dass sie an den Noten kleben und darstellerisch wenig bieten. Als Glückstreffer erwies sich die »Ersatz«-Psyche Claudia Barainsky mit ihrem ebenso beweglichen wie tragfähigen Sopran.

Regisseur Karsten Wiegand, derzeit Operndirektor in Weimar, beschränkte sich darauf, drei Leinwände an das Orchestergerüst zu spannen – die dort eingeblendeten Bilder und Sequenzen haben allerdings wenig mit der Opernhandlung zu tun. Sterbende Giraffen sieht man da, widerliche Menschenversuche und Szenen aus Hitchcocks »Vertigo« – all das lenkt vor allem störend von der Musik ab. Eine weitere Szene, in der ein Kokoschka-Darsteller eine Alma-Mahler-Puppe massakriert, reduziert die Zusammenhänge platt aufs Biografische. Den Abend wegen dieser Bilduntermalung eine »konzertante Aufführung mit Szene« zu nennen, ist jedenfalls eine Beschönigung.

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