Vorläufig einig: 39 Stunden für alle

Land Berlin und Gewerkschaften legten gemeinsames Papier vor / Buh-Rufe bei ver.di-Kundgebung

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 4 Min.

Vorläufige Einigung nach einer langen Sitzungsnacht: Gestern Morgen verkündeten Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, Innensenator Ehrhart Körting (beide SPD) sowie Vertreter der Gewerkschaften, dass man nach harten Verhandlungen nun ein gemeinsames Eckpunktepapier vorlegen könne. Danach sollen die Beschäftigten von Land und Bezirken bis 2017 wieder so viel verdienen wie ihre Kollegen in den anderen Bundesländern. Dazu will Berlin wieder in die Tarifkommission der Länder (TdL) einsteigen. Berlin war aus der Tarifgemeinschaft ausgeschlossen worden, weil es die Ost-Einkommen einseitig an die West-Löhne angepasst hatte. Berlin hatte einen eigenen Arbeitgeberverband gegründet und eine Art Haustarifvertrag abgeschlossen, erläuterten Experten.

Ein weiterer wichtiger Punkt des aktuellen Papiers sei die Angleichung des Tarifniveaus zwischen Ost und West, hob Wowereit gestern hervor. Um eine Gleichstellung zu erreichen, werde es ab 1. August 2011 auch eine gemeinsame Arbeitszeit von 39 Stunden pro Woche geben. Noch gelten für den Westteil 38,5 Stunden, für den Ostteil dagegen 40 Stunden. Bis zum 5. März wollen die Gewerkschaften ihre Mitglieder über das Ergebnis des Eckpunktepapiers abstimmen lassen. »An dem Angebot kann aber nicht mehr herumgeschraubt werden«, machte die Landeschefin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Susanne Stumpenhusen, klar. »Entweder das Papier wird angenommen oder nicht.« Bei Ablehnung beginne alles wieder von vorn. »Wir haben lange und viel gestritten und gegenüber den letzten Verhandlungen im Januar deutliche Verbesserungen erzielt«, sagte Stumpenhusen. Verhandlungsergebnisse seien aber immer Kompromisse, war sie sich mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg, einig.

Positiv sahen Stumpenhusen und Schönberg auch die Rückkehr des Landes bis zum 31. Dezember 2011 in die Tarifkommission der Länder. »Berlin beendet seine Tarifflucht«, meinte die Landeschefin von ver.di. Kommentar des GdP-Chefs: »Mit der Rückkehr in die Kommission hat das Land endlich seinen tarifpolitischen Irrweg des Einzelkämpfers aufgegeben.« Neben der GdP machten auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und IG Bau deutlich, dass sie auf die Annahme dieses Kompromisspapiers setzen. »Wir haben nicht gejubelt, sind aber nicht unzufrieden mit dem Ergebnis«, formulierte die GEW-Landesvorsitzende Rose-Marie Seggelke.

Auf jeden Fall solle es bis zum Tag der Entscheidung Anfang März keine Warnstreiks mehr geben. Unabhängig von einer möglichen Einigung hatte ver.di gestern die Beschäftigten in den Senatsverwaltungen und Bezirksämtern, in Schulen und Kindertagesstätten, zu Warnstreiks aufgerufen. »Ich werde jetzt gleich zum Wittenbergplatz fahren«, verkündete Stumpenhusen nach der gestrigen Pressekonferenz. Am Wittenbergplatz wurden Stumpenhusen und ihre Stellvertreterin, Verhandlungsführerin Astrid Westhoff, mit Buh-Rufen empfangen.

Das vorläufige Einigungspapier stieß bei den ver.di-Mitgliedern auf wenig Gegenliebe. Der Chef des Hauptpersonalrats, Uwe Januschewski, kritisierte, dass es bei den Eckpunkten keine Zusagen zur Übernahme von Auszubildenden gibt und keine Erklärung, den möglichen Tarifabschluss für die Beamten zu übernehmen. »Das ist eine Gemeinheit, der Senat provoziert uns«, sagte Januschewski. »Das, was am Verhandlungstisch möglich ist, haben wir ausgereizt«, verteidigte Westhoff vor rund 2000 Demonstranten den Kompromiss. »Ihr müsst entscheiden, ob das ein akzeptabler Weg ist«, sagte sie.

Als »gutes Verhandlungsergebnis« bezeichnete der Berliner SPD-Vorsitzende Michael Müller die vorläufige Einigung im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes. Löhne und Gehälter würden wieder steigen. Klaus Lederer, Landesvorsitzender der LINKEN, bezeichnete das Ergebnis als gutes Zeichen für die Beschäftigten. »Damit wird das gerade von der Linkspartei immer wieder abgegebene Versprechen eingelöst, die Berlinerinnen und Berliner, die unsere Stadt in den kommunalen Diensten am Laufen halten, nicht dauerhaft von der Einkommensentwicklung abzukoppeln. Der öffentliche Dienst darf nicht für verfehlte Steuerpolitik des Bundes büßen.«

Eckpunkte, auf die sich Senat und Gewerkschaften geeinigt haben:

  • Die knapp 50 000 Arbeiter und Angestellten sollen vom 1. August 2011 an durchschnittlich 3,1 Prozent mehr Geld bekommen. Damit erreichen sie 97 Prozent des Verdienstniveaus der anderen Länder.
  • Bis Ende 2011 will das Land Berlin in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückkehren. In den folgenden Jahren sollen die dort vereinbarten Erhöhungen übernommen werden.
  • Seit dem Austritt aus der Tarifgemeinschaft im Jahre 2003 hat sich nach Angaben der Gewerkschaften ein Einkommensrückstand der Beschäftigten im öffentlichen Dienst von 5,9 Prozent ergeben.
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