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  • Bundesverfassungsgericht: Berechnung der Hartz-IV-Sätze ist verfassungswidrig

»Ohrfeige« für die Bundesregierung

Schelte der Richter: Bildungsausgaben nicht berücksichtigt, Stromkosten pauschal gekürzt

  • Dirk Farke
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit Monaten hatten Betroffene, Verbände und Politiker auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Hartz-IV-Regelsätzen gewartet. Wie sich bereits im Vorfeld ankündigt hatte, erachteten die obersten deutschen Richter die Berechnungsgrundlage für verfassungswidrig – die Koalition muss nun bis Ende 2010 nachbessern.

Die seit dem 1. Januar 2005 geltende Vierte Arbeitsmarktreform (Hartz IV) ist in einem weiteren bedeutenden Punkt verfassungswidrig. Wie das Bundesverfassungsgericht am Dienstag verkündete, ist die Höhe der Regelsätze, die die damalige rot-grüne Bundesregierung festgelegt hatte, in einer nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Weise berechnet worden und lag offensichtlich von Anfang an weit unter dem tatsächlichen Bedarf. (Az.: 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09) Die nachfolgend dafür Verantwortlichen, das heißt zunächst die Große Koalition und seit vergangenem Herbst die schwarz-gelbe Bundesregierung, unterließen aus fiskalischen Gründen bewusst eine Neuberechnung.

Die obersten Verfassungshüter sprachen in eindeutiger Weise von einem »nicht realitätsgerechten Verfahren, das der Ermittlung des Existenzminimums zugrunde liegt«. Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier fügte hinzu, das Verfahren sei methodisch und empirisch nicht fundiert und offensichtlich »ins Blaue hinein« geschätzt worden. Dabei verwarfen die acht Richterinnen und Richter des Ersten Senates nicht grundsätzlich eine Berechnung, die auf der Einkommens- und Verbraucherstichprobe der untersten 20 Prozent der Haushalte fußt. Allerdings seien damals, und dies gilt bis heute, enorm wichtige Positionen wie Ausgaben für die Bildung nicht berücksichtigt worden, ohne dass dies begründet worden sei. Andere Positionen, zum Beispiel die Kosten für Strom, wurden pauschal um 15 Prozent gekürzt, ohne dass der Gesetzgeber dies empirisch belegen konnte.

Besonders Kinder erwerbsloser Hilfeempfänger sind durch die Einführung der Hartz-Reform eklatant benachteiligt und in ihren Grundrechten verletzt worden. Hierzu sagt das Gericht, dass die Höhe der Regelsätze für Kinder schon allein deshalb gegen das Grundgesetz verstoße, weil sie einfach von der verfassungswidrigen Berechnung für einen alleinstehenden Erwachsenen »heruntergerechnet« wurde. Die damalige Koalition habe, genau wie die nachfolgenden Regierungen, das Existenzminimum für minderjährige Kindes nicht ermittelt. »Kinder sind keine kleinen Erwachsenen«, wissen, anders als die Regierungsverantwortlichen, die obersten Verfassungshüter der Republik.

Vor allem bei schulpflichtigen Kindern sei ein zusätzlicher Bedarf zu erwarten. Denn ohne den Erwerb von »notwendigen Schulmaterialien wie Schulbücher, Schulhefte und Taschenrechner« drohe den Kindern der Ausschluss von Lebenschancen. Damit verringere sich auch die Aussicht darauf, später einmal den Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können.

Ferner verfügte das Gericht, dass Hilfebedürftige »Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs haben«. Damit sind zum Beispiel an Neurodermitis Erkrankte gemeint, denen nun ein zusätzlicher Anspruch auf Leistungen, die die Krankenkassen nicht übernehmen, zugestanden wird.

Angesichts der »lebensbestimmenden Bedeutung der Regelung« gibt das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber nur eine sehr kurze Frist vor, bis zu der er die beanstandeten Regelsätze zu korrigieren hat. Spätestens Ende dieses Jahres muss er die Regelleistungen »in ein verfassungsgemäßes Verfahren« deshalb neu festgesetzt haben. Anders als von den Betroffenen und ihren Angehörigen sowie von Sozialverbänden und engagierten Politikern erhofft, gilt das Urteil somit nicht rückwirkend. Betroffene erhalten für die jahrelange staatlich bewusst betriebene Unterfinanzierung, für versagte Lebenschancen, Ausgrenzung und Einsamkeit also keinen Ersatz.

Der Regelsatz

Am 1. Januar 2005 trat das 4. »Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« in Kraft, meist Hartz IV genannt. Die darin festgelegten Eckregelsätze – wieviel den Betroffenen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes gezahlt wird – haben sich seit 2005 mehrfach geändert.

  • Der Eckregelsatz war in Ost- und Westdeutschland verschieden hoch: Alleinstehende erhielten ab Januar 2005 in den alten Bundesländern 345 Euro, in den neuen 331 Euro. Bei zwei Partnern erhielten beide je 90 Prozent dieses Satzes. Kinder bis 13 Jahre bekamen zunächst Sozialgeld in Höhe von 60 Prozent des Regelsatzes. Das waren 207 Euro (West) bzw. 199 Euro (Ost). 276 Euro betrug der Regelsatz für Jugendliche (14 bis 18 Jahre) in Westdeutschland, 265 Euro im Osten (80 Prozent des Regelsatzes). Das Kindergeld wird vollständig verrechnet.
  • Zum 1. Juli 2006 wurde der Eckregelsatz Ost auf das Westniveau angehoben.
  • Ab dem 1. Juli 2007 betrug der Eckregelsatz 347 Euro.
  • Um drei Euro auf nunmehr 351 Euro wurde der Regelsatz zum 1. Juli 2008 erhöht. Kinder bis 14 Jahre erhielten nunmehr 211 Euro, Jugendliche bis zur Volljährigkeit 281 Euro. Seit dem 1. August 2008 erhalten Schulkinder einen jährlichen Zuschuss von 100 Euro für Schulmaterialien.
  • Seit Juli 2009 werden alleinstehenden Arbeitslosengeld-II-Beziehern monatlich 359 Euro ausgezahlt. Partner erhalten jeweils 323 Euro, Kinder und Jugendliche von 14 bis 24 Jahren 287 Euro. Im Rahmen des Konjunkturpaketes II der schwarz-roten Regierung Merkel wurde zu diesem Zeitpunkt die neue Altersstufe für 6- bis 13-Jährige eingeführt. Sie erhalten seitdem 251 Euro. Diese Neuerung wurde aber bis Ende 2011 befristet. Für Kinder, die unter 5 Jahre alt sind, sind aktuell 215 Euro vorgesehen – abzüglich des Kindergeldes. grg
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