Der nackte Philosoph

Kunstraum Kreuzberg thematisiert mit »Derridas Katze« das Verhältnis von Mensch und Tier

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Kulturwesen Mensch steht in einem besonderen Verhältnis zur ihn umgebenden Natur. Er greift massiv in sie ein. Ja, er schafft sie sogar durch die Einführung sie benennender Kategorien. In einem vergnüglichen Text, in dem er sich mit seiner eigenen Hauskatze auseinandersetzt, hat der französische Philosoph Jacques Derrida einen Diskurs über die Nacktheit von Mensch und Tier, die Zuschreibung dieser Nacktheit und letztlich die Definitionsmacht überhaupt eröffnet. Die Katze, die nackt ist, aber um ihre Nacktheit (vermutlich) nicht weiß, und den nackten Philosophen im Badezimmer betrachtet, der sich der Katze gegenüber nackt fühlt, sich aber nicht sicher sein kann, ob sie ihn überhaupt als nackt wahrnimmt, ist der intellektuelle Beginn der Gruppenausstellung »Derridas Katze. Que donc je suis (a suivre)« im Kunstraum Kreuzberg.

In der Ausstellung finden sich von Katzen jedoch kaum noch Spuren. Yuka Oyama und Becky Yee stellen immerhin Tiermasken aus Papier vor, unter denen sich auch Raubkatzen befinden. Workshop-Teilnehmer aus Schöneberg hatten sie gefertigt, um dem in ihnen wohnenden Tier Ausdruck zu verleihen. Anstelle Derridascher oder auch nur gemeiner Hauskatzen dominiert des Menschen engster Begleiter, der Hund, die Räume im alten Krankenhaus Bethanien.

Bereits die Wand im Eingangsbereich ist mit Hundeabbildungen zugepflastert. Gehrd Grothusen stellt in Anlehnung an den Pionier der seriellen Fotografie Eadweard Muybridge eine ganze Hundereihe vor. Ihr ist – noch näher am Oeuvre des Pferdefotografen Muybridge – eine Reihe von Pferdefotos gegenüber gestellt.

Lisa Strömbeck schließlich widmet sich in einer Videotrilogie, von der in der Ausstellung aus unerfindlichen Gründen nur zwei Teile zu sehen sind, dem Hund ohne Futter und dem Hund mit Futter. In der ersten Projektion ist ein an allen vier Füßen fixierter Vierbeiner zu erkennen, dem man unwillkürlich den traurigen Blick dessen zuschreibt, der kein Futter vor sich hat. Im danebenstehenden Bild hat es der Vierbeiner besser. Ein Teller voller Würste befindet sich vor ihm. Dennoch stürzt er sich nicht darauf. Dem Betrachter bleibt es überlassen, über die Gründe des Aussetzens der Instinkte nachzugrübeln. Gewiss kann man sich hierbei auch in Derridasche Höhen aufschwingen und über das schon Dressierte im Hund oder die möglicherweise fehlerhafte Zuschreibung von Instinkten vom Menschen auf den Hund sinnieren.

Als interessanter Ausgangspunkt für den Diskurs über die Nacktheit bietet sich auch eine Fotoserie von Carla Ahlander über pinkelnde Hertha-Fans im Wald rings um das Olympiastadion an. Ist das kollektive Wasserabschlagen der Kerle in blauweißer Fankleidung das letzte Verbindungsglied des Stadtmannes mit der Natur? Ist es ein Ritual?

Insgesamt jedoch bleibt die von Alice Goudsmit und Barbara Buchmaier kuratierte Ausstellung leider hinter dem schillernden Motto des Philosophen zurück. Gewiss illustriert Lucy Powell mit ihren Zeichnungen eines Pandabären als von Ärzten umringten Patienten ganz possierlich die Tendenz der Einvernahme des Tiers durch den Menschen. Doch den meisten Arbeiten ist entweder eine nur mittelmäßige Qualität zueigen oder sie lassen sich nur mühsam in den leitenden Diskurs einzwängen.

Sylvia Henrichs holt mit lichtstarken Scheinwerfern etwa wirkungsvoll ein bisschen Natur aus dem Unterholz. Sie kreiert eine Tatortatmosphäre, die – denkt man an das permanente Fressen und Gefressenwerden der tierischen Nahrungskette – mit Sicherheit ihre Berechtigung hat. Doch es reicht eben nicht aus, einfach nur Arbeiten, die irgendwie mit Tier und Natur zu tun haben, zusammenzupferchen und sie mit einem philosophischen Label zu bekrönen.

Goudsmit und Buchmaier haben die Hoffnungen auf eine exzeptionelle Auseinadersetzung geschürt, dann aber mit der Auswahl und dem Arrangement der Arbeiten die gute Chance versiebt. Immerhin haben sie Susanne Nissen erlaubt, eine kleine Irritation in den Stadtraum zu tragen. Auf der noch schneebedeckten Freifläche vor dem Bethanienkomplex sind an einer Birke zwei Vogelhäuschen angebracht aus denen – als Tonkonserve – Papageienstimmen ertönen. Sie singen und sprechen für einen kurzen Moment tropische Temperaturen oder zumindest anheimelnde Wohnzimmeratmosphäre herbei.

Bis 7.3. täglich 12 – 19 Uhr, Kunstraum Kreuzberg, Mariannenplatz 2, Informationen unter www.kunstraumkreuzberg.de

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