Platz eins bleibt oberstes Klassenziel

Fast alle Teilnehmer sind in der Olympiastadt Vancouver eingetroffen – nur der Winter fehlt noch

  • Oliver Händler, Vancouver
  • Lesedauer: 3 Min.

Richtig schnell geht es nicht mehr zu Fuß durch Vancouver. Ständig muss man stehen bleiben, um den immer zahlreicher eintreffenden Touristen nicht durch das Erinnerungsfoto zu laufen. Offensichtlich sind einige Fans schon Tage vor dem Beginn der Spielen angereist, um sich noch ein Bild von der Stadt zu machen, bevor sie von einer olympischen Entscheidung zur nächsten eilen. Auch die deutsche Olympiamannschaft ist bereits fast komplett angereist, doch Sightseeing steht nicht auf ihrem Tagesplan.

Vielmehr wird hart trainiert, um das von der deutschen Sportführung ausgegebene Ziel zu erreichen, Platz eins der Nationenwertung von den Spielen in Turin zu verteidigen. Gar nicht so unwahrscheinlich, lässt der Blick am Kiosk in die neueste Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift »Sports Illustrated« erahnen. Die traut in ihrer weltweit meist beachteten Medaillenprognose den deutschen Athleten nicht nur die meisten Medaillen (35) zu, sondern auch die meisten Olympiasiege (11). Gastgeber Kanada schafft demnach zehn Erfolge, was zehn mehr wären als bei beiden Heimspielen zuvor: 1976 in Montreal (Sommer) und 1988 in Calgary (Winter) schafften Kanadas Sportler nicht ein einziges Mal den Sprung aufs oberste Podest.

Vor vier Jahren hatten die Biathleten mit fünf Gold-, vier Silber- und zwei Bronzeplaketten das Gros der insgesamt 29 deutschen Medaillen eingesammelt. So kann es kaum überraschend, dass Biathletin Kati Wilhelm und Co. zu den ersten gehörten, die nach Kanada reisten und auf Vancouver Island ein extra Trainingslager einschoben. »Zumindest über zu wenig Schnee können wir nicht klagen«, sagte der Nesselwanger Michael Greis, der in Turin dreimal Biathlon-Gold geholt hatte.

Während in Vancouver bei frühlingshaften Temperaturen die Krokusse und Kirschbäume blühen, hatten die deutschen und schwedischen Biathleten keine Schneeprobleme. Vielmehr machte ihnen der Nebel zu schaffen, so dass die Teamleitung um die Bundestrainer Uwe Müssiggang und Frank Ullrich über einen früheren Umzug ins Athletendorf von Whistler nachdachte.

Auch dort, am Austragungsort der nordischen und alpinen Skiwettbewerbe sowie der Rodel-, Skeleton- und Bobrennen, ist Schnee im Überfluss vorhanden. Lediglich die Snowboarder und Freestyle-Skiläufer bangen noch. Sie trainieren auf einem weißen Band auf Vancouvers Hausberg, dem Cypress Mountain, während um sie herum alles grün und braun ist. Seit Wochen herrscht Tauwetter in der Olympiastadt, so dass in kurzen Hosen und T-Shirts durch den Stanley Park gejoggt wird.

»Es war der wärmste Januar der Geschichte, haben uns die Meteorologen versichert«, entschuldigt sich Tim Gayda, Vizepräsident des Organisationsteams VANOC. »Das macht uns natürlich zu schaffen.« Mit Hunderten von Schneeladungen aus höheren Regionen, herbeigebracht mit Lkw und Hubschraubern, versuchen die Organisatoren, das Problem am Cypress Mountain in den Griff zu bekommen.

Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr, denn die große hellblaue Countdown-Uhr auf dem Georgia Street Plaza inmitten von Vancouver zeigt keine zwei Tage mehr an bis zur Eröffnungsfeier im BC Place Stadion, das 55 000 Wintersportfans Platz bietet. Auf dem Schwarzmarkt werden Eintrittskarten für das Spektakel mittlerweile schon für 6000 kanadische Dollar (etwa 4100 Euro) angeboten – das Sechsfache ihres ursprünglichen Wertes.

Auch wenn sie kostenlos dabeisein können, werden wie so oft nicht alle Athleten an der Eröffnung der Spiele teilnehmen. So hat Rodel-Olympiasieger Armin Zöggeler abgelehnt, die italienische Fahne zu tragen. »Am Tag nach der Eröffnungsfeier stehen für mich die beiden ersten Rennläufe auf dem Programm. Da ist es mir nicht möglich, dieses ehrenvolle Amt auszuüben«, sagte der 36-Jährige, der seinen Titel von Turin verteidigen will.

Schon am Sonntag fällt bei den Rodlern die erste Entscheidung. David Möller (Sonneberg) und Felix Loch (Berchtesgaden) wollen dem Südtiroler das Gold wegschnappen. Wer weiß, vielleicht trifft man die beiden danach am Abend in der Hastings Street. Dort gibt es einen kleinen Tatooladen, der allen Medaillengewinnern anbietet, das Logo der Spiele kostenlos in ein Körperteil eigener Wahl zu tätowieren. Na, wenn das kein Anreiz ist.

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