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Untergang eines Flaggschiffs
Bei der Pleite der Mühl AG zahlen Mitarbeiter und Kleinaktionäre die Zeche
Mit der Mühl Product & Service AG im thüringischen Kranichfeld hat im März eines der Vorzeigeunternehmen des Freistaats Insolvenz angemeldet und ringt seit dem ums Überleben.
Mühl war 1990 als erstes deutsch-deutsches Joint Venture der Bauindustrie mit 14Mitarbeitern gestartet. Der Hesse Thomas Wolf kaufte sich damals in die zweitgrößte Bäuerliche Handelsgenossenschaft (BHG) der DDR ein und verwandelte sie in eine Baumarktkette für Profis. 1993 übernahm die West LB 25 Prozent der Geschäftsanteile. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Jahresumsatz gegenüber 1991 bereits auf 300 Millionen Mark verdreifacht. Mehr als die Hälfte davon realisierten Franchaisenehmer. Wolf trieb die Expansion mit atemberaubender Geschwindigkeit und fremdem Geld voran. Im August 1995 ging Mühl als erstes Thüringer Unternehmen an die Börse und galt seither als Flaggschiff des Aufschwungs. Das Konzept schien aufzugehen. Zwei Jahre nach dem Börsengang schnellte der Kurs der 6,1 Millionen Aktien auf über 50 Mark empor. Innerhalb eines Jahrzehnts mauserte sich die Firma mit rund 4800 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von über 700 Millionen Euro zu einem der größten ostdeutschen Unternehmen. Das zehnjährige Bestehen wurde mit großem Pomp im Berliner Theater des Westens zelebriert. Kein geringerer als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) feierte Mühl in seiner Festrede als Vorzeigeunternehmen aus den neuen Bundesländern. Dann aber kam der Karriereknick. Weder die Aufnahme einer zweiten Anleihe von 120 Millionen Mark noch der Einstieg des Versicherungsriesen Allianz, über dessen Anteile es unterschiedliche, zwischen 13 und 25 Prozent schwankende Angaben gibt, konnten die nötige Liquidität schaffen. So mussten schon im vorigen Jahr 65 der bundesweit 165 Standorte geschlossen und 1000 Mitarbeiter entlassen werden. Die Aktie geriet in stetigen Sinkflug. Das Unternehmen, dass nicht nur Baustoffe verkaufte, sondern auch spezialisierte Software anbot, geriet immer mehr ins Schlingern. Pikanterweise findet sich unter seinen Offerten auch ein Expertensystem für Bonitäts- und Liquiditätsprüfung. Im eigenen Haus wurde das aber offenbar nicht genutzt. Kritiker sprechen von schlampiger Bilanzierung. Wolf sieht sich indessen als Opfer der Banken. Der Zusammenbruch des Neuen Marktes habe den Unternehmenswert von 400 Millionen Euro auf 20 Millionen stürzen lassen, klagte er einer Boulevardzeitung. In Wahrheit aber war er nicht mehr in der Lage, die fälligen Anleihe- und Kreditzinsen von sieben Millionen Euro zu bedienen. Die Fremdschulden der AG sollen sich unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 250 und 300 Millionen Euro bewegen. Insgesamt gibt es Beziehungen zu rund 30 Banken. An Umsatzrekorde von 1,2 Milliarden Mark wie 1999 ist längst nicht mehr zu denken. Das Unternehmen verliert nach eigenen Angaben tag für Tag Kunden und hat sich von seinem ursprünglichen Umsatzziel von 800 Millionen Euro für das laufende Jahr wohl längst verabschiedet. Ungeachtet dessen lobte Wolf die Firma noch am Tag des Insolvenzantrags als »gesundes ostdeutsches Unternehmen mit großem Zukunftspotenzial«. Derzeit wird allerdings erst einmal fieberhaft daran gearbeitet, den Baustoffkonzern vor dem völligen Untergang zu retten. Wolf hatte mehrfach den Einstieg neuer Investoren mit neuem Geld angekündigt, geschehen ist allerdings nichts. Über die seit geraumer Zeit laufenden Verhandlungen des Insolvenzverwalters mit Banken und Politik drang bisher nichts nach außen. Wolf hofft aber offenbar, dass sich die beteiligten Kreditinstitute, die bei einer Liquidation viel Geld verlieren würden, einem Neuanfang nicht verschließen. Angesichts der hohen Zahl bedrohter Arbeitsplätze ist auch sein Hilferuf an die Thüringer Politik nicht ganz ungehört verhallt. Wirtschaftsminister Franz Schuster (CDU) versprach Unterstützung, ließ allerdings wissen, dass an nennenswerte finanzielle Hilfe nicht zu denken ist. Thüringen ist schließlich seit langem im Visier der Brüsseler Wettbewerbshüter und muss sich mit Rückforderungen von Fördergeldern, die wider EU-Recht gezahlt wurden, herumschlagen. Der 44-jährige Vorstandschef baut auch auf das neue Insolvenzrecht, das durchaus Möglichkeiten für die Fortführung des Unternehmens biete. Die langwierigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen lassen vermuten, dass Wolf da nicht falsch liegt. Die Dresdner Bank und die Bayerische Landesbank, die größten Gläubiger, sollen Bereitschaft zu weiteren Finanzspritzen signalisiert haben, wenn Wirtschaftsprüfer eine optimistische Prognose vorlegen. Wolf möchte 3000 von 3800 Arbeitsplätzen erhalten. Ob das gelingt ist fraglich. Sicher ist nur, dass letztlich die Beschäftigten und die Kleinaktionäre, deren Papiere derzeit gerade noch einen Eur...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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