Der Riss durch die libanesische Gesellschaft beginnt sich zu schließen
Demonstrationen in Beirut am 5. Jahrestag der Ermordung Rafik Hariris
Während Zehntausende in die libanesische Hauptstadt strömten, um an den Feierlichkeiten zum Gedenken an den vor fünf Jahren ermordeten Rafik Hariri teilzunehmen, meldete das libanesische Militär am Sonntagvormittag den Überflug mehrerer israelischer Kampfjets über der Kleinstadt Rashaya in der Beeka Ebene im Osten des Landes. Aufforderungen, den libanesischen Luftraum zu verlassen, wurden von den israelischen Piloten ignoriert, daraufhin eröffnete das Militär Flugabwehrfeuer.
Auf der Kundgebung bekräftigte Saad Hariri, Sohn von Rafik Hariri, den Willen zur Einheit des Landes. Libanon werde seine Zukunft in die eigenen Hände nehmen, das sei die Botschaft dieses Tages an die Region und an die Welt. Den Massen rief Hariri zu: »Ihr habt die Bewegung des 14. März ins Leben gerufen und ihr seid die wahre Führung dieser Bewegung.«
Neben Hariri sprachen der frühere Ministerpräsident Fuad Siniora, der Führer der Falangisten, Amin Gemayel und der Libanesischen Kräfte, Samir Geagea. Vertreter der Progressiven Sozialistischen Partei (Dschumblatt) und der Amal (Berri) legten am Grab von Rafik Hariri Kränze nieder, Vertreter der Hisbollah waren mit Saad Hariri bereits am Tag vor der Kundgebung zusammengetroffen.
Auf Initiative Frankreichs und der USA – beide Regierungen hatten ihre Botschafter aus Damaskus sofort nach dem Mord abgezogen – verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1559, die den Abzug aller fremden Truppen aus Libanon und die Entwaffnung aller Milizen forderte. Syrien weist die Anschuldigungen bis heute zurück, zog allerdings, der UN-Resolution 1559 und internationalem Druck folgend, am 25. April 2005 seine Truppen aus Libanon ab.
Die Forderung nach Entwaffnung der Milizen richtete sich vor allem gegen die Hisbollah, die in Israel und im Westen als »Terrororganisation« gilt, in Libanon aber nicht nur militärisch, sondern auch politisch eine wichtige Rolle spielt. Eine bewaffnete Operation der Hisbollah nahm Israel zum Vorwand, um Libanon im Sommer 2006 einen Monat lang mit Krieg zu überziehen: Große Teile der unter Hariri aufgebauten Infrastruktur wurden dabei wieder zerstört.
Politisch gespalten wurde Libanon in den Jahren nach dem Hariri-Mord durch regionale und internationale Interessen bis an den Rand eines neuen Bürgerkriegs geführt. Attentate auf zumeist syrienkritische Journalisten und Politiker wurden erneut dem Nachbarn angelastet, der die Vorwürfe regelmäßig zurückwies. Ein im Dezember 2005 beantragtes Internationales Sondertribunal wurde per UN-Resolution 1664 (2006) eingerichtet. Bereits im Mai 2005 hatte die UNO den deutschen Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis beauftragt, den Mord zu untersuchen. Rasch beschuldigte auch Mehlis Damaskus der Drahtzieherschaft und ließ militärische Gefolgsleute Syriens in Beirut verhaften. Doch seine Ermittlungen lösten sich in Falschaussagen und Vermutungen auf, die Festgenommenen wurden wieder frei gelassen. Ein Nebeneffekt der Ermittlungen war allerdings die Aufdeckung eines israelischen Spionagenetzwerks in Libanon, wozu die Hinweise eines engen westlichen Verbündeten des Zedernstaates beigetragen hatten.
Anders als in den vergangenen Jahren gab es in diesem Jahr nur eine Demonstration, zu der das Bündnis 14. März von Regierungschef Saad Hariri, dem Sohn Rafik Hariris, aufgerufen hatte. Man wolle der Welt »ein nationales libanesisches Panorama bieten«, sagte er und warnte im übrigen vor dem eigentlichen Feind des Landes, Israel, das die staatliche Souveränität Libanons täglich durch Überflüge mit Spionagedrohnen und Kampfjets missachte. Israel wolle die Libanesen gegeneinander aufhetzen, doch »die nationale Einheit ist das beste und effektivste Mittel, den Drohungen Israels zu begegnen, erklärte Hariri junior. Mit dieser Aussage hebt er sich deutlich von seinem Amtsvorgänger Fuad Siniora ab, der den Hauptfeind in der Hisbollah sieht.
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