Bummel durch die wilden 60er
In Londons Stadtteil Soho bleibt die Anfangszeit der Rolling Stones und Beatles lebendig
London ist eine Stadt der Kontraste: Tradition und British Empire-Vermächtnis treffen auf eine trendige Szene, urbane Gemütlichkeit und knallhartes Business. In den 60er Jahren war London die Weltmetropole der Beatmusik und einer neuen, kreativen Mode – heute melden sich in London die »Swingin' 60s« zurück.
»Sorry you missed the 60s« – mit großen Lettern, die über dem Laden-Schaufenster in einer Seitenstraße der Carnaby Street im Londoner Stadtteil Soho prangen, werden all diejenigen bedauert, die die taollen 60er Jahre nicht miterleben konnten. Eine Verkaufsausstellung im Inneren des Shops am Fouberts Place zeigt tollegroßformatige Aufnahmen aus der Anfangszeit der Rolling Stones und der Beatles, die damals öfter in Soho auftauchten. Die Ausstellung erinnert an eine Zeit des Aufbruchs, für die London und speziell die Carnaby Street die Initialzündung gaben.
Fotos machen die Zeit wieder lebendig
Hier traf sich die kreative Musikszene. So hatten beispielsweise die Stones ihr Managerbüro im Radnor House und die Small Faces planten ihre Auftritte vom Büro in der Carnaby Street aus. Die Stones, die Yardbirds und Manfred Mann spielten im Marquee in der Wardour Street. Es war eine Zeit, in der vieles über Bord geworfen wurde, was in der Nachkriegsperiode als heilig und unumstößlich galt – festgehalten von einem Fotografen, der mit Talent und Glück zur rechten Zeit an den rechten Orten war: Philip Townsend.
Als der große, hagere Mann mit einem Lächeln in den Laden tritt, um seine Bücher zu signieren, sieht man ihm nicht an, dass er mit all den großen Stars der 60er auf »Du und Du« steht. Er blieb bodenständig, obwohl er zu den Pionieren gehört, die aus begabten Sternchen Stars machten. Als erster Fotograf setzte er die Rolling Stones mit einer Fotoserie in Szene – nur fünf Tage, nachdem sie ihren Profivertrag mit Andrew Loog Oldham unterzeichnet hatten. Er war dabei, als die Band ihre erste große Tournee in Südengland absolvierte und auch als sie erstmals in Rundfunk und Fernsehen auftrat. »Andrew wollte, dass die Stones auf den Fotos möglichst garstig und böse aussehen«, erinnert sich Philip bei einer Tasse Tee im benachbarten Restaurant. »Das hielten die Jungs bei einer längeren Fotosession aber nicht ewig durch. Irgendwann mussten sie doch lächeln.«
Alles strömte in die Carnaby Street
Damals zog es Philip sehr oft in die Carnaby Street und Umgebung – nicht nur wegen der Stones. Auch die Modebranche befand sich im Umbruch. Bald strömte die Jugend Europas in die kreativen Boutiken von John Stephen, Harry Fox und Lord Kitcheners Valet. Die großen internationalen Magazine brachten die Fashion Street auf ihre Titelseiten und Philip versorgte sie mit Fotomaterial. Peggy March (In der Carnaby Street) und die Kinks (Dedicated Follower of Fashion) widmeten der Carnaby Street eigene Songs und verbreiteten ihren Namen über Äther und Vinyl.
Doch leider währte der Ruhm nur wenige Jahre. Große Ladenketten und Touristen-Shops breiteten sich aus. Erst seit kurzer Zeit kehren die kreativen kleinen Modeboutiken wieder in die Seitenstraßen zurück – und nahezu täglich kommen neue hinzu. In der Regent Street und in der Carnaby Street dominieren die großen Labels, aber in deren Umfeld tut sich einiges – gerade rechtzeitig zum 50-jährigen Jubiläum der 60er, das 2010 ganz groß gefeiert werden soll. Zu den neuen Kreativen gehört Simon Green, der mit seinem Shop »Blaqua« gerade erst ein neues Quartier zu einem akzeptablen Mietpreis bezogen hat. Er entwirft und verkauft unikate Hemden und Jacken, die an die Flower Power Mode der 60er anknüpfen. Dass Kreativität auch manchmal verrückt sein kann, zeigt Greg White, der nur wenige Schritte weiter in seinem Shop »Chateauroux« u. a. T-Shirts verkauft, die er vorher mit einer Schrotflinte durchlöcherte. Die Verbindung zur Musikszene dokumentiert Paterson Riley im »Great Frog«. Er hält eine selbst designte silberne Gürtelschnalle für die Band Iron Maiden in der Hand. Das Konzept aus den 60ern, unikate Mode und Schmuck zu akzeptablen Preisen anzubieten, geht auch heute auf.
Mischmasch an Kunst und Kitsch
Die wilden 60er Jahre werden nicht nur in Soho lebendig. Gleich neben dem Sherlock Holmes Museum in der Baker Street 221B hat sich Howard Cohen mit einem »Beatles Store« niedergelassen und offeriert hier seinen Kunden eine feine Auswahl an Original Vinylplatten der Pilzköpfe. Auch auf dem Portobello Road Street Market finden sich unter nahezu 2000 Ständen und Shops alle erdenklichen Memorabilia aus der Blütezeit der Stones und Beatles.
Der Weg dorthin gleicht an Samstagen allerdings mehr einer Demo oder einer Prozession, denn an diesem Tag sind auf dem Markt auch die Antiquitätenhändler mit von der Partie und ziehen tausende Besucher magisch an. Hier gibt es kaum etwas, was es nicht gibt: Vom Beatles-Foto auf der Abbey Road über Platten und T-Shirts bis zu John Lennon als Pop-Art-Gemälde. Einige hundert Meter weiter wird Lady Diana gedacht. Die populäre Prinzessin von Wales zieht noch heute viele Verehrer in den Kensington Palast, wo sie von 1981 bis 1997 ein Apartment besaß.
Im benachbarten Hyde Park herrscht die gewohnte Ausgelassenheit. Während die einen die ersten Sonnenstrahlen tanken, joggen andere beflissen ihre Runden. Am nördlichen Ende der Park Lane, wo Philip einige seiner ersten Fotos mit den Stones schoss, ruft ein Redner an der »Speakers Corner« den versammelten Neugierigen zu, dass sie sich wie in den 60er Jahren wehren sollen: »Lasst es euch nicht gefallen, die Zeche für die gierigen Banker zu bezahlen!«
Seit Beginn der Weltwirtschaftskrise steht auch in London die Finanzwelt massiv in der Kritik. Für Touristen bieten die Auswirkungen der Krise allerdings auch Vorteile: der günstige Wechselkurs zum Pfund Sterling, die herabgesetzte Mehrwertsteuer und die Sonderangebote der Geschäfte und Hotels machen einen London-Besuch noch attraktiver. Da erscheint die halbstündige Fahrt mit dem weltweit größten Riesenrad, dem 135 Meter hohen »London Eye«, mit 17 Pfund nun nicht mehr so überteuert und die Führung durch die »Houses of Parliament« während der Sommerpause von Ende Juli bis September für sieben Pfund ist beinahe ein Schnäppchen. Im Londoner Tower zeigt die Sonderausstellung »Kronen und Diamanten: die Anfertigung der Kronjuwelen« u. a. fünf von 1715 bis 1939 benutzte Königskronen und mehr als 12 000 Diamanten. Wer denkt da noch an die Wirtschaftskrise?
Infos:
Britische Zentrale für Tourismus, Visit Britain, Dorotheenstr. 54, 10117 Berlin , Tel.: (030) 31 57 19-0, Fax: -10, E-Mail: gb-info@visitbritain.org, www.visitbritain.org
Unterwegs in London: Eine Entdeckungsfahrt durch London mit dem Bus der Linie 15 tangiert viele Sehenswürdigkeiten und ist günstig. Mit der Oyster-Card bezahlt man ganze 80 Pence pro Fahrt.
Die Oyster-Card kann man vorab kaufen unter www.visitbritaindirect.com/de. Über die Homepage kann man zudem den Great British Heritage Pass zu 45 Euro kaufen, der für vier Tage freien Eintritt in viele Museen und Schlösser gewährt.
Extratipps: Eine ganze Reihe von Museen und Galerien sind in London kostenfrei, so u. a. die National Gallery, das British Museum, beide Tate-Gallerien und das Natural History Museum. Auch bei kostenpflichtigen Museen zahlt man oft eine Stunde vor Schließung keinen Eintritt mehr.
Geldumtausch: In England kann man fast überall problemlos mit der Kreditkarte bezahlen. Bargeld lässt sich günstig mit der EC-Karte abheben, Wechselstuben bieten meist einen ungünstigeren Kurs oder verlangen Gebühren. Der Wechselkurs schwankt täglich, derzeit um 1,10 bis 1,30 Euro pro Pfund Sterling.
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