Vertreibung in den Urwald

Für Agrosprit werden Weiden in Äcker und Wälder in Weiden verwandelt

  • Mario Schenk, São Paulo
  • Lesedauer: 2 Min.
Brasilien setzt zum Erreichen der Klimaschutzziele seit Langem auf den Einsatz von Agrosprit aus Zuckerrohr und Sojadiesel. In einer jüngst vorgelegten Studie unter der Leitung David Lapolas von der Uni Kassel wurden zum ersten Mal die Landnutzungsänderungen und die recht bescheidenen CO2-Einsparungen durch den Treibstoff vom Feld beziffert.

Die Kernbotschaft ist eher trist: Der Ersatz von Erdöl durch Biokraftstoffe auf der Basis von Soja und Zuckerrohr würde erst nach rund 250 Jahren die CO2-Emissionen aus dem fossilen Sprit kompensieren. Dieser Teil der brasilianischen Klimaschutzbemühungen wäre somit gescheitert. Der Hauptgrund für dieses unerfreuliche Ergebnis ist schon länger bekannt: Die Verdrängung bisheriger Weideflächen durch Zuckerrohr und Soja und in der Folge die massiven Verlagerung der Weidewirtschaft in frühere Regenwaldregionen.

Um die Treibstoffersatzpläne Brasiliens zu erfüllen, wären insgesamt 165 000 Quadratkilometer zusätzliche Anbaufläche nötig. Auf Grund besserer Böden würde sich die Ethanolproduktion vor allem im Südosten des Landes, der Sojaanbau mehrheitlich im Westen konzentrieren. Weniger lukrative Anbaukulturen oder Weideflächen würden zu Soja- oder Zuckerohrfeldern.

Wie die im US-Fachjournal »Proceedings of the National Academy of Sciences« (10.1073/pnas. 0907318107) veröffentlichte Studie zeigt, verursacht die Freisetzung von Kohlenstoff durch diese Umwandlung der Plantagen sowie die Entwaldung eine Kompensationszeit von vier Jahren für Zuckerrohr und 35 Jahren für Soja.

Die Studie beziffert den gesamten Flächenfraß – hauptsächlich in der Amazonasregion – auf rund 170 000 Quadratkilometer. Das entspricht etwa der Hälfte Deutschlands. Diese »indirekte Entwaldung« würde die Amortisierung der Kohlenstoffeinsparungen weiter massiv verzögern: Bei Ethanol und Zuckerrohr um rund 40 Jahre, bei Soja gar um 211 Jahre. Insgesamt würde es 246 Jahre dauern, bis sich der Biodiesel gegenüber herkömmlichen Kraftstoffen klimaneutral darstellen würde. »Wenn es das Ziel sein soll, die Kohlenstoffemissionen zu verringern und es zu den erwarteten Verdrängungen und neuen Anbauflächen kommt, lohnt es nicht, auf Biokraftstoffe zu setzen«, so Lapola gegenüber ND.

Drei Auswege sieht der Ökologe: Die Intensivierung der Produktion auf bestehenden Flächen, die Rückgewinnung brach liegender Flächen und den Anbau effizienterer Pflanzen. Die Studie empfiehlt etwa die inzwischen auch umstrittenen Ölpalmen und Jatropha (Purgiernuss), deren Öl einen ähnlich hohen Brennwert wie Diesel besitzt. Der Anbau benötigt wenig Fläche und Wasser. Sie ist für landwirtschaftliche Kleinbetriebe attraktiv, da sie per Hand geerntet werden muss.

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