Moderne Tagelöhner mit Doktorhut
Lehrbeauftragte an Berliner Hochschulen arbeiten zum Billigtarif / GEW fordert mehr reguläre Stellen
Lange Jahre hat Robert Dennhardt eine perfekte Wissenschafts-Karriere aufs Parkett gelegt: Er gehörte als Student zu den Besten und seine Promotion schloss der Geisteswissenschaftler mit summa cum laude ab. Der Bruch kam nach dem Examen: Seit fast zwei hangelt sich der Wissenschaftler von Lehrauftrag zu Lehrauftrag. Bis vor kurzem hatte der 37-Jährige zwei davon – einen an der Berliner Universität der Künste (UdK) im Bereich Wissenschaftsgeschichte, den anderen an der Universität Lüneburg.
Bezahlt wird Dennhardt denkbar schlecht. »Wenn ich die Vor- und Nachbereitungszeit mit einrechne, komme ich auf einen Stundenlohn von fünf Euro«, sagt er. Für das Geld, das eine festangestellter, halbtags beschäftigter wissenschaftlicher Mitarbeiter erhält, müsste Dennhardt »mindestens fünf Lehraufträge mit einem Arbeitsvolumen von 50 Stunden pro Woche« haben. Das aber sei nicht zu leisten.
Dennhardt ist kein Einzelfall. Zu einem großen Teil wird die Lehre an den Berliner Hochschulen und Universitäten von Lehrbeauftragten getragen, die lediglich über unsgesicherte und schlecht bezahlte Honorarverträge verfügen. Dies geht aus einer Antwort auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Lars Oberg hervor, die kürzlich von der Berliner GEW vorgestellt wurde.
Ursprünglich sollten Lehraufträge dazu da sein, qualifizierte Fachleute an die Unis zu holen, die Studenten Erfahrungen aus der Praxis vermitteln. Durch die Unterfinanzierung der Hochschulen sei aus dem Nebenjob jedoch heute eine Haupttätigkeit geworden, kritisiert der Hochschulexperte der Berliner GEW, Matthias Jähne. »Lehraufträge werden als Ersatz für fehlendes Hochschulpersonal missbraucht.«
So wie Robert Dennhardt geht es also mittlerweile vielen Nachwuchswissenschaftlern in Berlin. Im Schnitt verdienen sie mit einem Lehrauftrag kaum 300 Euro pro Monat. Und so haben viele noch andere Jobs oder stocken ihr schmales Salär mit ALG II auf. Verschärft werde diese prekäre Situation noch durch die hohen Sozialabgaben, kritisiert Linda Guzzetti. Die Sprachlehrerin unterrichtet gleich an allen drei Berliner Unis sowie an der Viadrina in Frankfurt (Oder). »Die Sozialbgaben bekomme ich monatlich abgezogen, das Honorar für die Lehraufträge aber erst am Ende des Semesters aufs Konto«, klagt sie.
Rund 5000 Lehrbeauftragte gibt es zur Zeit an den Berliner Hochschulen und Universitäten – knapp ein Drittel mehr als noch 1998. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl des hauptberuflichen Personals lediglich um ca. acht Prozent zu. In den Fachhochschulen leisten die Honorarkräfte heute bis zu 48 Prozent der Lehre, in den künstlerischen Hochschulen im Schnitt 25 Prozent und an den drei Universitäten etwa 15 Prozent.
»Ohne Lehrbeauftragte würde der Lehrbetrieb an vielen Hochschulen zusammenbrechen«, kommentierte Matthias Jähne diese Zahlen. Der GEW-Vertreter fordert deshalb eine Anhebung der Mindestvergütung von bislang 21,40 Euro pro Stunde auf 30 Euro. Wo Lehraufgaben dauerhaft wahrgenommen werden, müssten dafür auch reguläre Stellen geschaffen werden, in den anderen Fällen mindestens für zwei Semester vergeben werden.
Das hält auch Gudrun Spaan für dringend erforderlich. Sie lehrt an den Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) und kritisiert, dass die Lehrbeauftragten manchmal erst kurz vor Semesterbeginn von den Hochschulleitungen mitgeteilt bekämen, ob und in welchem Umfang sie die nächsten sechs Monate Arbeit haben. »Früher hatte man für diese Form der Arbeit eine treffende Bezeichnung«, bemerkt Dennhardt dazu bitter. »Da hat man solche Menschen wie uns als Tagelöhner bezeichnet.«
Auf Verbesserungen des Status der Lehrbeauftragten will Dennhardt indes nicht länger warten. Er hat die Reißleine gezogen und fängt demnächst als Lehrer an einer Privatschule in Berlin an. »Da habe ich wenigstens einen Arbeitsvertrag.«
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