In der Provinz sind wir die Kings
Steffen Mensching will, dass es beim Festival Musik und Politik »Drunter und Drüber« geht
ND: Was ist eine Antidepressionsrevue? Wie ist sie entstanden?
Mensching: Wir wussten, der Herbst 2009 mit seinen Gedenktagen wird kommen, dann aber ist der Boom vorbei. Die Gegenwart wird sich vor die Vergangenheit stellen. Was machen wir also nach den Revolutionsfeiern? Wir borgten die Idee bei Heinrich Heine: Wie in »Deutschland, ein Wintermärchen« wollten wir auf Städtereise gehen, um Deutschland unter die Lupe zu nehmen – und mit dem Pfund unseres Theaters wuchern: Ein Schauspielensemble und ein Sinfonieorchester.
Ich habe die Revue gesehen; der Heinesche Gestus wird wunderbar deutlich, aber eine Städtereise ist es weniger, es werden Biografien von Personen erzählt.
Wir brauchten eine dramatische Struktur, das Versepos ist ja eher erzählend und auf ein Ich fixiert. Bei uns gibt es einen Radiomoderator und weitere fünf merkwürdige Gestalten, die reimend von ihren Erfahrungen im veränderten Vaterland berichten. Sie holen die derbsten Knüppelverse aus dem Sack und hauen richtig drauf.
Kenner werden auf der Bühne das alte Rundfunkstudio aus der Berliner Nalepastraße wiederfinden. Dahinter sitzt ein echtes Sinfonieorchester mit 38 Musikern und dem Rudolstädter Chefdirigenten Oliver Weder an der Spitze. Das politische Liedfestival jetzt mit klassischer Orchestergewalt?
Wenn Sie das so sehen. Es ist wunderbar, einen solchen Klangkörper zur Verfügung zu haben – unsere Struktur ist im deutschen Stadttheaterbetrieb einmalig. Natürlich sind frühere Bühnen-Erfahrungen da mit eingeflossen.
Sie meinen die Arbeiten von »Karls Enkel«, als von »Hammer-Rehwüh« bis »Sichel-Operette« in den Achtzigern erstaunliche Experimente gemacht wurden. Und die Da Da eR-Programme, mit denen das Clowns-Duo Wenzel/Mensching durch die Lande tingelte?
Das »Festival des politischen Liedes« war damals sicherlich prägend. Es bot neben aller Ideologie die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, zu lernen. Große, anregende Musik-Gestalten haben wir da kennengelernt: Zupfgeigenhansel, Mercedes Sosa, Heiner Goebbels. Ein Mitstreiter von damals, Rolf Fischer, als »Cello« bekannt, hat jetzt für unsere Revue auch komponiert.
Früher haben Sie Programme mit Hans-Eckardt Wenzel geschrieben, heute mit Ihrem Chefdramaturgen Michael Kliefert. Ist die Zusammenarbeit ähnlich?
Die ist anders. Wenzel ist selbst Literat, Micha ist Dramaturg, Stoffentwickler, Inspirator, Fragensteller, er schaut mir kritisch über die Schulter, kürzt Überflüssiges, wobei es mir nicht schwer fällt, Material wegzuschmeißen. Und: Micha kennt den Stadttheaterbetrieb von innen. Als ich nach Rudolstadt kam, waren meine Kenntnisse auf die künstlerische Praxis beschränkt. Ohne meinen kleinen, aber großartigen Mitarbeiterstab wäre ich gescheitert.
Für mich sind Sie nach wie vor ein wichtiger und wirklicher Dichter dieses Landes. Nun, 50-jährig, begeben Sie sich plötzlich in so eine Administrationsfunktion, kommen aus dem überaus lebendigen Berlin ins kleine Rudolstadt. Muckertum. Provinzbühne. Schon der Begriff »Intendant« hat doch was Unsinnliches an sich.
Ich habe mich nie nach Aufgaben gedrängt, sie fallen mir vor die Füße. Natürlich bin und bleibe ich Berliner, das hörnse ja. Aber als Preuße mache ich das, was ich anpacke, gründlich. Ich lebe jetzt nur hier. Manchmal bedauere ich, dass ich so selten rauskomme, aber mein Interesse an Berlin hat in den letzten Jahren nachgelassen. Berlin war mir wichtig als eine geistreiche Stadt, zerrissen zwischen Frechheit und Nachdenklichkeit. Die hippe Geschäftigkeit reduzierte ihr reflexives Talent. Dagegen bietet die Provinz die Chance der Konzentration. Wir sind hier so was wie die Kings, wir bieten den Leuten fast zu viel Kultur an. Und können uns andererseits den Luxus, über die Köpfe der Leute hinwegzuspielen, bei Gefahr des Untergangs nicht leisten. Die Zeiten sind viel zu ernst, um vor sich hin zu spielen.
Gibt es den alten lokalen Gegensatz Provinz/Zentrale nicht mehr?
»In unserer Provinz singen wir, was wir wollen.« Schillers Satz ist eine kecke Ermutigung. Wir arbeiten sehr gezielt für eine Region, die wir kennen. Kommunikation bestimmt unsere Tätigkeit, weniger das Orientieren an Trends oder Moden. Das Feuilleton ignoriert uns. Na und? Und den Gegensatz von Provinz und Welt, gibt es den so noch? Jeder Depp ist heutzutage vernetzt, digitalisiert, online. Ob man Weltbürger oder Schildbürger ist, hängt aber nicht vom Wohnort ab, sondern von Interessen. Viele Leute, die sich beim Polfest profilierten, sind jetzt maßgeblich – zufällig? – in Rudolstadt beim tff, dem Tanz- und Folk-Fest, dabei. Diese Szene hat immer genreübergreifend gedacht. Das war und ist für mich wichtig. Das war auch ein Grund, hierher zu kommen. In diesen drei Julitagen ist die Stadt so multikulturell und weltbürgerlich, wie man es in großstädtischen Parallelwelten nur selten hat.
Zurück zum Gastspiel: Sie spielen im Maxim Gorki Theater. Eine besondere Bühne? Genugtuung für den Provinz-Bühnen-Mann?
Wir haben damals an fast allen Ostberliner Bühnen gastiert, zunächst an der Volksbühne, als unser Freund Heiner Maaß dort Dramaturg war. Das Gorki wurde um 89 wichtig: Intendant Albert Hetterle öffnete sein Haus für die – na ja – revolutionären Künstler, später folgte ihm Willms. Wenzel und ich spielten im Gorki in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 »Letztes aus der Da Da eR«. Draußen tobte die nationale Euphorie. Um Mitternacht dann einen Gong: Wir können mit Stolz behaupten, eine Vorstellung in zwei Ländern aufgeführt zu haben, ohne die Bühne zu verlassen. Das Gorki ist ein schönes Theater und als ehemalige Singakademie akustisch für unsere Revue bestens geeignet. Genugtuung? Nö, für mich nicht. Ich bin nicht im Streit weg. Aber für unser Theater, für das Selbstbewusstsein der Musiker und Schauspieler, für unsere Technik, die Gewerke, die ganze Truppe, ist es prima, hier zu zeigen, was wir können.
»Drunter und Drüber« – am 28.2., 15 und 19.30 Uhr im Maxim Gorki Theater Berlin
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