Die Nation als Marke
Streifzug durch die Länderpavillons in der Olympiastadt Vancouver
»Hier dreht sich alles um Nation Branding. Wissen Sie, was das ist?«, fragt Xenia Schlegel. Die Gesichter, in die sie blickt, sehen ratlos aus. Schnell redet die Marketingchefin des Schweizer Hauses in Vancouver weiter, all die Sätze, die nun folgen, sitzen perfekt. Sie wechselt spielerisch zwischen Englisch, Deutsch und Schwyzerdütsch, je nachdem, wer ihr gerade eine Frage stellt. »In den 90er Jahren war das Konzept des Hauses, Begegnungsstätte für Sportler zu sein, aber jetzt ist es eine Plattform, um das Image der Schweiz im Ausland zu polieren.« In der Sprache der Werber nennt man das Nation Branding: Die Nation wird zur Marke.
Schweizer Haus
Das weiße Kreuz auf rotem Grund ist auf vielen überlebensgroßen Pappfiguren angebracht, damit niemand an dem Glashaus vorbeiläuft. Malerisch auf der Granville-Insel am Südufer des False Creek gelegen, bietet es einen hübschen Blick auf die Hochhäuser Downtowns auf der anderen Seite der Bucht. Das Panorama nutzt auch das Schweizer Fernsehen. »Denen haben wir hier ein Studio gebaut. Schauen Sie, die senden gerade live«, sagt Xenia Schlegel.
Vorm Eingang hat sich eine lange Schlange gebildet. »Ich stehe schon seit zwei Stunden an«, verrät eine junge Kanadierin kurz vor dem Ziel. »Ich habe gehört, hier gibt es leckeres Fondue.« In der Tat riecht es im Innern nach alkoholisiertem Käse. Die aus Europa eingeflogenen Köche haben binnen zehn Tagen schon 1,7 Tonnen Käse verflüssigt.
Plötzlich bekommt PR-Frau Schlegel von einem Mann im Anzug Blumen überreicht. Der Vertreter eines Kaffeemaschinenherstellers bedankt sich für den gelungenen Abend zuvor, als hier Kaffee an die Gäste ausgeschenkt wurde. Auch Schokolade oder Mineralwasser wurden schon unter die Leute gebracht. Schlegel bringt alle Sponsorennamen in ihrem Vortrag unter. Schließlich haben sie das 2,1 Millionen Franken teure Projekt mitfinanziert. Heute werden 80 000 Bonbons verteilt. Am Freitag gibt es Raclette.
In Vancouver ist in den vergangenen Wochen eine riesige Werbetour angelaufen, um Einheimische und Touristen in die Länderpavillons zu locken. Die Zeitungen sind voll mit Plänen, welche Orte man »ganz umsonst besuchen« kann. Versprochen werden Party oder Unterhaltung. Fast immer gibt es reichlich Werbung obendrauf.
Casa Italia
Wer zum »Casa Italia« will, fährt von Granville Island mit dem Aquabus, einer kleinen Fähre, nach Yaletown – das selbsternannte Partyzentrum der Olympiastadt. Am Steuerrad steht Rentner Steve. Auf der fünfminütigen Überfahrt erzählt er, dass viele Olympiagäste über die unkoordinierten Transportmöglichkeiten in der Stadt klagen. »Das hätte besser organisiert sein müssen«, sagt Steve. »Aber wenigstens ich kann helfen.«
Unweit der Fähranlegestelle liegt das Italien-Haus – ein heller, steril wirkender Saal. Der junge Stefano führt die Besucher von Stand zu Stand: hier das Agrarministerium, da der Ausrüster des Olympiateams, dort hinten die Tourismuszentrale ENIT – wenig Aufregendes haben die Italiener zu bieten, noch nicht mal Espresso gibt es. Immerhin ist eine Bar errichtet. »Leider nur für geladene Gäste«, sagt Stefano. Kein Wunder, dass sich hier keine Schlangen vor den Türen bilden.
Stolzes Sotschi 2014
Ein paar hundert Meter weiter steht das Science Center, ein imposanter Kuppelbau, errichtet für die EXPO 1986. Hier residiert derzeit die Olympiastadt von 2014: Sotschi. Dimitri Tschernitschenko stellt sich vor, der Organisations-Chef der Spiele 2014 in der russischen Schwarzmeermetropole. Tschernitschenko spricht vom »nationalen Projekt Olympia« und hat Nikita Krjukow, Langlaufsieger von 2010, als neuen Sotschi-Botschafter mitgebracht. »Ich bin froh, Sotschi zu helfen. Los Russland!«, sagt der schmale Athlet im Trainingsanzug. Ein zehn Meter langes Modell der Region zwischen Schwarzem Meer und der Bergregion Krasnaja Poljana ist das Highlight des Hauses.
Wer Blinis oder Borschtsch probieren will, wird enttäuscht. »Restaurant geschlossen«, sagt ein Sicherheitsmann in gebrochenem Englisch. »Gibt es hier russisches Essen, wenn geöffnet ist?«, fragt ein Besucher. »Restaurant geschlossen!«, wird der Türsteher noch mürrischer. Partystimmung kommt nicht auf.
Fackelbild mit Coke
Das gilt auch für die »LiveCity« in Yaletown. Sherry und Melissa haben sich vor einer Stunde zu den wartenden Massen gesellt und etwa die Hälfte des Weges zu den Sicherheitsschleusen geschafft. Melissa ist gerade mit zwei Pizzas vom Italiener zurückgekehrt. »Man muss aus der Not eine Tugend machen«, sagt sie. Im LiveCity-Gelände, auf dem allabendlich Livemusik geboten wird, wollen die beiden unbedingt in den Coca-Cola-Pavillon, wo man sich mit Olympiafackel fotografieren lassen kann. Coke war Sponsor des Fackellaufes. Sherry und Melissa ahnen nicht, dass sie dort noch mal 90 Minuten anstehen müssen.
Die überwiegend jugendlichen Besucher des Pavillons werden am Ende der Warterei in einen Kinoraum getrieben wie Vieh beim Almabtrieb. Tür zu, Film ab. Fünf Minuten Werbespot über den olympischen Fackellauf. Zum Schluss sagt ein Mittvierziger: »Durch den Lauf mit Coke bin ich zum besseren Kanadier geworden.« Doch selbst die Jüngsten unter den Gästen sind nach den Strapazen beim Einlass dafür nicht mehr empfänglich. Sie lassen sich lieber mit der Fackel fotografieren. Die Bilder werden ihnen später per E-Mail zugesandt, zusammen mit noch ein bisschen Werbung.
Heilung koreanisch
Nach der langen Steherei kommt das Korea-Haus gerade recht. Mitten in Downtown ist es in einer angemieteten Hoteletage kaum zu finden und deshalb ziemlich leer. In einem kargen Raum symbolisieren den Kulturaustausch hier drei Maschinen mit je zwei Öffnungen, in die die Besucher ihre Hände stecken. Während die Finger gepiekst werden, erklärt Dr. Younglo Kim: »Die Behandlung der Mittelfingerkuppe hilft gegen Kopfschmerzen.«
Die schicke »Samsung-Lounge« nebenan steht wieder nur geladenen Gästen offen. »Aber ich habe doch ein Samsung-Handy«, witzelt ein Kanadier koreanischer Abstammung. Er erntet Kopfschütteln. Keine Chance.
Zwei Deutsche Häuser
Am Schluss der Tour steht das Deutsche Haus im Erdgeschoss der Simon-Fraser-Universität. Da es eines der wenigen Häuser ist, die nicht direkt vom Staat geführt werden, steht Nation Branding hier nicht so stark im Vordergrund. Nach Aussagen der Leitung des Hauses, der Deutschen Sport-Marketing GmbH, ist die Idee von einer Begegnungsstätte für die Mannschaft immer noch sehr wichtig. Hauptanliegen 2010 ist jedoch die Bewerbung Münchens für die Spiele in acht Jahren. Um den Stand der Planungen zu zeigen, steht ein futuristischer Touchscreen bereit, an dem man virtuell über Sportstätten und Athletendörfer in München, Garmisch-Partenkirchen und Königssee fliegen kann.
Am bayerischen Abend wird angemeldeten und zahlenden Gästen sowie Athleten zum Schuhplattler traditionelles Essen serviert. Unternehmen laden ihre Kunden hierher. Während das Schweizer Haus 15 Angestellte hat, sind es in beiden deutschen Häusern (in den Bergen von Whistler gibt es eine Dependance), über 80 Mitarbeiter, fast alles Freiwillige.
Nach den Kritiken aus früheren Jahren, das Haus sei zu abgeschottet, wurde diesmal auf der Rückseite ein großes Zelt errichtet. Im »German Fan Fest«, geführt vom Landessportbund Thüringen, gibt es nun Volksmusik, Bratwurst, Bier und die obligatorische Menschenschlange. Schon morgens um halb zehn stehen die ersten vor dem Zelt, das um zehn Uhr öffnet.
Das Deutsche Haus ist dagegen Kommunikationszentrale für den Deutschen Olympischen Sportbund und die Olympiajournalisten. Täglich finden Pressekonferenzen in Vancouver und Whistler statt, live übertragen ins jeweils andere Haus. Touristische Werbung gibt's hier keine. Dafür den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der gemeinsam mit den Rodlern Felix Loch und Georg Hackl für München 2018 wirbt. Am Abend danach sitzt Guttenberg in Whistler neben Langläufer Tobias Angerer. Fototermine, wie Minister sie lieben.
Auch die Sportler sind angetan: »Das Haus ist toll. So etwas brauchen wir zum Relaxen«, sagt Shorttracker Tyson Heung. »Ich weiß zwar nicht, ob das Haus für uns Athleten gemacht ist, aber schön ist es trotzdem.«
Es gibt noch mindestens 20 weitere Pavillons in Vancouver. Kanada hat einen für jede Provinz. Dazu auch die Ureinwohner, die Skandinavier, die Sachsen, die Slowaken, Holländer und Ukrainer. Olympia ist zur EXPO 2010 geworden.
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