Wer den Fuxtest besteht

Über die psychologischen Hintergründe sadistischer Rituale in Männergruppen

  • Wolfgang Schmidbauer
  • Lesedauer: 6 Min.

Ich habe Kameradschaft kennengelernt, wie ich sie in dieser Form noch nicht kannte.« So der heutige Verteidigungsminister in einem »Stern«-Interview über seine Zeit bei der Bundeswehr. Von Guttenberg ist Unteroffizier der Reserve, seinen Grundwehrdienst leistete er in Mittenwald, beim Gebirgsjägerbataillon 233. Genau jenem Bataillon, das jüngst ein ehemaliger Wehrpflichtiger beim Wehrbeauftragten des Bundestages verklagt hat. Er habe im Sommer 2009 beim so genannten »Fuxtest« Alkohol trinken, Rollmöpse mit Frischhefe und rohe Schweineleber bis zum Erbrechen essen müssen. Wer nicht mitmacht, ist ein Feigling; wer das Ritual erträgt, gehört dazu und wird partout nicht einsehen, weshalb er es anderen »Füxen« ersparen sollte.

Nach bisherigem Wissen wurden diese »Mutproben« oder »Aufnahmerituale« unter den Mannschaften praktiziert; Offiziere und Offiziersanwärter waren ausgeschlossen. Daher hat auch der spätere Verteidigungminister wohl nichts davon mitbekommen. Wie arg und wie verbreitet solche Fuxtests tatsächlich sind, wird mühsam zu ermitteln sein. Denn solche Rituale werden ja gerade deshalb praktiziert, um eine Gruppe nach außen abzugrenzen, sie zu einem Geheimbund zu machen.

Nun sind Aufnahmerituale uralt und weit verbreitet. Die Ethnologen kennen sie als Übergangsrituale (rites de passage). Dieser Begriff wurde 1909 von dem französischen Anthropologen Arnold van Gennep eingeführt. Van Gennep hatte sich mit den Übergängen zwischen zwei sozialen Zuständen beschäftigt, wie zwischen Jugend und Mannesalter, Mädchen und Frau, verheiratet und unverheiratet, Außenstehender (eines Ordens oder Geheimbundes) und Mitglied, Kranker und Gesunder. Van Gennep analysierte Übergangsriten in einem Dreiphasen-Modell: Ablösungsphase (Separation), eine für den Einfluss übelwollender Kräfte besonders anfällige Zwischenphase (Liminalität) und schließlich die Integrationsphase (Aggregation), in der die neue Identität angenommen wird.

Auch wenn es sehr voreilig wäre, solche Rituale allein psychologisch zu erklären – sie haben psychologische Funktionen, die ihr Bestehen sichern und sie dort neu entstehen lassen, wo es sie bisher nicht gab. Gruppen brauchen eine Grenze, um ihre Identität aufrechtzuerhalten. Wer diese Grenze überschreiten und anerkanntes Mitglied der Gruppe werden will, muss beweisen, dass er zur Gruppe passt und sich Forderungen unterwerfen, die ihn von anderen unterscheiden, ihm im Extremfall die Rückkehr in seine früheren sozialen Bindungen unmöglich machen. Im Hollywood-Krimi gerät der Undercover-Agent in eine Notlage, wenn das Aufnahmeritual der Gang, in die er eintreten soll, ein Mord ist.

Ähnlich gab es bei den Freimaurern Aufnahmerituale, die in der »Zauberflöte« von Schikaneder und Mozart noch als lebensgefährliche Wasser- und Feuerprobe erscheinen, die der Prinz besteht, während Papageno schon an der ersten, der Schweigeprobe scheitert. Die schlagenden Verbindungen der Studenten ließen nur Mitglieder zu, die auf dem Paukboden ihren Mut bewiesen hatten; auch dort gab es »Straftrinken«. Wer beim Fechten blessiert wurde, musste sich ohne Betäubung nähen lassen. Frauen hatten in der Burschengemeinschaft nichts zu suchen. Ähnlich wie jetzt noch bei den Gebirgsjägern wurden die Anwärter auch in den Burschenschaften Fux genannt.

Die psychologische Funktion dieser Rituale geht vorwiegend in zwei Richtungen: Sie leiten Aggressionen aus dem Männerbund ab gegen die Gruppe der in diesen eindringenden Füxe und sie befriedigen eine latente, sadistisch getönte Homosexualität. 2006 wurden Praktiken der Fallschirmjäger im pfälzischen Zweibrücken bekannt: Die Soldaten steckten einem Kameraden Obst zwischen die nackten Pobacken und schlugen mit einem Paddel darauf. Bei der Marine wird bis heute die Äquatortaufe praktiziert. Im Internet ist nachzulesen, wie ein »Getaufter« den Zeh eines Vorgesetzten ablecken muss. Auf einem anderen Schiff mussten Rekruten ein Würstchen schlucken, an dem ein Faden befestigt war. Dieses wurde dann wieder herausgezogen, unter dem Gejohle der bereits Eingeweihten/Getauften/Erniedrigten. Es braucht nicht viel Kenntnis der Sexualsymbolik, um auch hier die ins Sadistische kippende Homosexualität zu entdecken.

Warum lassen sich Menschen in dieser Weise erniedrigen und beeinträchtigen? Erniedrigte Personen schämen sich ihrer Situation und decken oft lieber die Täter, als sich zu exponieren. Wer sich in die Psyche der Opfer vertieft, entdeckt aber auch in ihnen die Sehnsucht nach dem Ausleben eines eigenen Sadismus, nach einer Welt, in welcher der Stärkere den Schwächeren verächtlich machen und unterdrücken kann. Wenn ich jetzt die Erniedrigung schlucke, mögen sie sich sagen, gehöre ich zu einer Gemeinschaft der Starken!

Solche Praktiken sind nicht harmlos. Es ist bekannt, dass die sadistische Grenzüberschreitung Menschen prägt: Das Ekelritual weckt in dem, der er erleidet, die Bereitschaft, es anderen anzutun.

In dem Western »Der schwarze Adler« spielte John Wayne einen traumatisierten Soldaten, der seine von Indianern entführte Nichte sucht. Während einer Verfolgungsjagd treffen sie auf einen toten Feind. John Wayne zieht den Revolver und schießt dem Toten in die Augen. Wer keine Augen mehr hat, findet nach einem (angeblichen) Indianerglauben das Paradies nicht. Die Grausamkeit seiner Feinde hat den christlichen Europäer primitiv und grausam werden lassen.

Dieses Motiv nennen Psychoanalytiker die »Identifizierung mit dem Angreifer«. Es wirkt im düsteren Hintergrund seelischer Traumatisierungen und straft den optimistischen Glauben Lüge, wer selbst Opfer gewesen sei, müsse fähig sein, sich in das Leid neuer Opfer einzufühlen und sie zu schonen. Oft gilt eher das Gegenteil. Weil im Augenblick der seelischen Überforderung der Angreifer die einzige Person ist, die emotionalen Halt zu bieten verspricht, verschmelzen Opfer mit ihm. Geprügelte Eltern hauen ihre Kinder; Gefolterte werden Folterer.

Die Ekelfolter als Aufnahmeritual hat etwas gespenstisch Vertrautes. Uns wird klar, dass ein Problem, das wir vom Fortschritt der Zivilisation überwunden glauben, immer noch da ist. War es nicht früher noch schlimmer? Im Mittelalter, bei der Hexenfolter, in Algerien während des Bürgerkriegs, in den Kellern der Gestapo und des KGB. Wir denken an den Marquis de Sade oder Pasolinis Film über die »120 Tage von Sodom«, in dem er Faschismus, Sexualität und Folter in einer Weise darstellt, die gespenstisch an die Bilder aus Irak erinnert.

Psychoanalytiker pflegen solche Szenen sozusagen umgekehrt zu diskutieren. Sie fragen nicht: Wie kommen Menschen dazu, das zu tun? Denn sie wissen, dass in jedem von uns die Bereitschaft zum Sadismus steckt. Daher lautet ihre Frage eher: Wann und unter welchen Umständen gelingt es nicht mehr, diese Bereitschaft zur perversen Aktion zu zügeln?

Ein Senior der amerikanischen Sozialpsychologie hat sich über die Berichte aus den Gefängnissen in Irak nicht gewundert. Es war der Stanford-Forscher Philip G. Zimbardo, der 1971 das legendäre »Gefängnisexperiment« durchführte. Er richtete im Keller der Universität einen täuschend echten Kerker ein, rekrutierte 24 Studenten und gab ihnen in einem Zufallsverfahren die Rollen der »Gefangenen« und der »Wächter«. Binnen weniger Tage wandelten die »Wächter« ihr Sozialverhalten. Sie erniedrigten die Gefangenen, schrieen sie an, bedrohten sie. Als sie anfingen, ihre Opfer zu misshandeln, wurde das Experiment abgebrochen.

Als Zimbardo die Bilder aus Abu Ghraib sah, waren sie ihm vertraut. Die Szene, in der Häftlinge durch Kapuzen geblendet und sexuell erniedrigt wurden, kannte er aus seinem Experiment. Sie war den jungen, ehrgeizigen, unbescholtenen, keineswegs perversen Studenten, die als »Wächter« mit den »Gefangenen« eingeschlossen waren, spontan eingefallen. Überall, wo Gefängniswärter nicht sorgfältig ausgebildet und kontrolliert werden, geht es ähnlich zu. Sexuelle Erniedrigung ist in amerikanischen Gefängnissen an der Tagesordnung. Im Zusammenhang mit den Irak-Berichten sind viele Fotos aufgetaucht, welche Demütigung als Routine der Bewacher erscheinen lassen.

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