Kanada und die Kontroverse um einen Slogan

An drei Worten enzündete sich Kritik und sogar ein Clinch der Kulturen: »Own the podium«

  • Ronny Blaschke, Vancouver
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Ende ist der Ton freundlicher geworden, dank der einfachsten Regel des olympischen Sports: Medaillen übertreffen jedes Argument, jede Rüge, jeden Zorn. »Die goldenen Spiele«, titelte die kanadische Zeitung »The Globe and Mail«. In einem tollen Schlussspurt stürmte der Gastgeber noch auf Platz 1 des Medaillenspiegels. 13 Goldmedaillen sammelten sie, bevor die letzte Entscheidung anstand, das Eishockeyfinale Kanadas gegen die USA. 2002 und 2006 waren es sieben Medaillen.

Organisatoren und heimische Medien dichteten Hymnen auf ihre Athleten, kontroverse Debatten waren plötzlich verdrängt – die Reflexe des Sports sind verlässlich. Drei Worte waren es, die die Spiele begleitet hatten. Drei Worte, an denen sich Kritik entzündete, sogar ein Clinch der Kulturen. »Own the podium«, zu deutsch: »Besitze das Podium«.

So hatten die Kanadier vor fünf Jahren ihren Masterplan benannt, dessen Ziel die Dominanz der Winterspiele war. Kosten: 115 Millionen kanadische Dollar (80 Millionen Euro), zwei Drittel aus staatlichen Mitteln. Das Geld floss in Training, Sportstätten, Ausrüstung. Niemals hatten Steuerzahler und Sponsoren so viel für Leibesübungen ausgegeben. In Deutschland gibt es für 2010 rund 250 Millionen Euro aus öffentlicher Hand für den Sport. Deutsche Sahnetorte, kanadische Krümel.

Es waren nicht die Ambitionen, die viele Kanadier verschreckten, es war die Überzeichnung. »Besitze das Podium«: Das war vielen zu dick aufgetragen, zu arrogant. Die Kanadier bezeichnen Respekt, Toleranz, Besonnenheit als Leitmotive, um sich von den USA abzugrenzen. Sie wollen ihren reichen Nachbarn nicht imitieren, nicht in Wirtschaft, Kultur, auch nicht im Sport. »Wir wollten nicht überheblich sein«, entgegnet Chris Rudge, der Geschäftsführer des Kanadischen Olympischen Komitees (COC). »Wir wollen Sport als Teil unserer Kultur etablieren. Warum sollten Athleten nicht ihren Traum erfüllen dürfen? So wie Ärzte, Anwälte oder Wissenschaftler? Wir müssen ihnen dabei helfen.«

Jeden Morgen mussten sich Vertreter des COC auf einer Pressekonferenz für »Own the podium« rechtfertigen. Jeden Morgen mussten sie sich fragen lassen, warum Kanadier weniger Medaillen gewonnen haben als Amerikaner oder Deutsche. Jeden Morgen erklärten sie ausführlich, warum ihr Programm mehr sei als der Drang nach Gold. Nämlich der Versuch, Sport als gesellschaftliches Werkzeug zu nutzen, um Gesundheit, Integration und Pädagogik zu stützen. Viele Zeitungen und Fernsehsender reduzierten die Funktionäre auf kurze Zitate und Interviewausschnitte, die Essenz: Vielleicht können wir das Podium besitzen, vielleicht aber auch nicht, bitte seid uns nicht böse.

»Own the podium«, an diesen drei Worten richteten viele Medien ihre Berichterstattung aus. Sie adaptierten die Scheinheiligkeit, die in anderen Ländern gang und gäbe ist. Sie zerpflückten die Förderung und zugleich verklärten sie Medaillensieger wie Buckelpistenfahrer Alexandre Bilodeau oder Eiskunstläuferin Joannie Rochette zu nationalen Ikonen. In epischer Bildsprache, ohne Distanz. Mit der Zurückhaltung Kanadas hatte dieser Personenkult genauso wenig zu tun wie mit »Own the podium«.

28 der 33 Millionen Kanadier haben die Spiele am Fernseher verfolgt. Neben ihrem Nationalsport Eishockey wissen sie nun, dass es sich bei Biathleten nicht um schießwütige Jäger handelt und Bobschlitten keine Mondfahrzeuge sind. »Wir haben das Fundament geschaffen«, sagt Nathalie Lambert, Kanadas Chef de Mission. Doch Förderprogramm endete mit der Schlussfeier. Die Regierung in Ottawa steht Großinvestitionen skeptisch gegenüber. Der wichtigste Sponsor des kanadischen Sports, das Telekommunikations-Unternehmen Bell, das umgerechnet elf Millionen Euro beisteuerte, will seine Zahlungen nicht verlängern. Schon befürchten die Funktionäre den Abgang ihrer Trainer und Wissenschaftler. Nebenwirkungen, wenn man das Podium unbedingt besitzen will.

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