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Alleinerziehend und arbeitslos
Andrea Friedrich aus Cahnsdorf bezieht Hartz IV / »Spätrömische Dekadenz« sieht anders aus
Ausnahmsweise scheint die Sonne auf Cahnsdorf, einen Vorort der 10 000 Einwohner zählenden Stadt Luckau. Das trübe Wetter der vergangenen sieben Wochen passt besser zur Stimmungslage von Andrea Friedrich. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die 8 und 18 Jahre alt sind, wohnt hier. Seit 2005 bezieht die 42-Jährige Hartz IV.
»Es hat alles ganz gut angefangen«, erinnert sich Andrea Friedrich. Sie sitzt zu Hause neben ihrer kranken achtjährigen Tochter. Die Kleine hat schweres Rheuma und einen gravierenden Herzfehler. »Ich habe drei Berufe. In der DDR habe ich Köchin gelernt. Nach der Wende noch Kellnerin dazu. 1995 dann für zwei Jahre eine Umschulung als Speditionskauffrau, der Betrieb hat mich gleich übernommen. Das war in Mittenwalde, 60 Kilometer von hier entfernt. Jeden Tag eine Stunde Fahrt – pro Arbeitsweg. Aber trotzdem: ich habe gutes Geld verdient, es war eine der glücklichsten Zeiten meines Lebens.« Mit der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2002 ist Andrea Friedrich für zwei Jahre in Elternzeit gegangen. Zu viel für die Spedition. »Sie haben mich gefeuert.«
Der FDP-Politiker Guido Westerwelle dichtet den Hartz-IV-Empfängern spätrömische Dekadenz an. Das beschreibt das Leben der damaligen Oberschicht. Die hat sich träge auf Marmorbänken mit der Pfauenfeder im Hals gekitzelt, um den Weg für eine neue Ladung gebratener Nachtigallenlebern frei zu kotzen. Das unwürdige Bild einer dekadenten Epoche, die vor 1300 Jahren zum Untergang des Römischen Reiches führt. Bei Andrea Friedrich finden sich weder Nachtigallenlebern noch Pfauenfedern im Haushalt. Der Kühlschrank ist eher mäßig gefüllt.
»Wegen des Rheumas braucht meine Tochter eine ausgewogene, mediterrane Ernährung. Kaum Fleisch, viel Fisch, gesundes Öl. Wissen Sie, was das kostet?« Anträge der Cahnsdorferin auf mehr Geld für das benötigte Essen werden von der Arge abgeschmettert. »Meine zuständige Vermittlerin ist wirklich nett und menschlich. Aber die Vorgaben, die sie von der Finanzabteilung bekommt, sind knallhart.«
»Die Erhöhungen vom Kindergeld, zehn Euro im letzten und 20 Euro in diesem Jahr werden sofort von meiner Unterstützung abgezogen, kommen bei mir also gar nicht an. Ebenso der Unterhalt des Vaters meiner Tochter. Dadurch bleibe ich beim Regelsatz.« Das jüngste Verfassungsgerichtsurteil könnte hier was ändern.
In der Region gibt es so gut wie keine Jobs für alleinerziehende Mütter. »Ich möchte wieder eine schöne Arbeit haben, wie damals in der Spedition«, träumt Andrea Friedrich. Verschärft wird ihre Situation durch die dringend nötige Fürsorge für ein krankes Kind, die eine Wochenend- und Nachtarbeit unmöglich macht. Ihre Familie lebt seit Generationen hier. Die letzten acht Jahre hat die Hartz-IV-Empfängerin ihre mittlerweile verstorbenen Eltern gepflegt. Wie die meisten Hiergebliebenen ist sie tief in ihre Heimat verwurzelt. Von Arbeitsscheu keine Spur.
Inzwischen hat die Mutter, ihr Sohn geht in die zwölfte Klasse des Luckauer Gymnasiums, die vierte Verlängerung für einen 1,30-Euro-Job beim örtlichen Arbeitslosenverband ergattert. »In dieser Arbeitslosenserviceeinrichtung in Luckau fühle ich mich gut aufgehoben. Ich werde dort gut beraten, rechtlich und auch bei anderen Sorgen«, erzählt die verzweifelte Frau. »Inzwischen betreue ich Bedürftige. Wissen Sie, auf dem Land braucht man ein Auto. Ich gehe für sie einkaufen und helfe ihnen, wo ich kann. Aber zu den umliegenden Dörfern sind es Entfernungen von 15 bis 20 Kilometern. Der Dazuverdienst von 1,30 Euro die Stunde landet an der Tankstelle – erstattet wird mir davon nichts. Vor ein paar Tagen habe ich mir an einem Schneehaufen die hintere Stoßstange abgefahren. Das ersetzt mir niemand.«
Statt zynischer Vergleiche erwarten Bedürftige Hilfe, etwa Mindestlöhne für Arbeit, von denen sie ohne staatliche Unterstützung leben können, Förderung Alleinerziehender statt Beschimpfung, Belohnung für Eigeninitiative statt Abzüge. Arbeit muss sich lohnen, das ist richtig. Doch diese Formel kann nicht die Ausbreitung des Niedriglohnsegments bedeuten und darf nicht heißen, dass man die Armen gegen die Ärmsten ausspielt. Außenminister Westerwelle sollte wissen, dass die Zunahme der Niedriglöhne in Deutschland, die nur den Unternehmern dient, EU-weit einzigartig ist.
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