Noch weiß niemand, was ein Transferrubel wert ist

Verbindlichkeiten aus Zeiten des UdSSR-DDR-Handels sind nach wie vor nicht endgültig geregelt

Verschiedene Umschuldungen hat Russland bereits hinter sich. Aber eine Frage bleibt noch ungelöst: die der Transferrubel-Altschulden.

Die Bundesrepublik Deutschland ist der größte Gläubiger Russlands. Von deutscher Seite werden die in Russland befindlichen Außenstände mit rund 57Milliarden Mark angegeben. Der größte Teil dieser Außenstände bestehen aus jenen Schulden, die Russland von der ehemaligen UdSSR geerbt hat.
Laut Berechnungen des »Handelsblattes« betrugen die gesamten Außenschulden Russlands im Jahre 2000 174,5 Milliarden US-Dollar. Andere Quellen bezifferten den Stand für den gleichen Zeitraum auf etwa 160 Milliarden Dollar. In Relation zum gesamten russischen Bruttoinlandsprodukt, bewertet zu Kaufkraftparitäten (635,2 Milliarden Dollar), entspricht dies einem Anteil an der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes von rund 28Prozent.
Von den 160 bis 170 Milliarden Dollar Schulden entfallen 82,2Milliarden Dollar, also fast die Hälfte, auf die von der ehemaligen UdSSR übernommenen Altschulden. Der größte Einzelposten sind dabei die im Rahmen des Pariser Clubs der Gläubigerländer gemanagten Regierungsschulden in Höhe von rund 40Milliarden Dollar, von denen die Hälfte das Gläubigerland Deutschland betreffen. Weitere 18,4 Milliarden Dollar Altschulden sind an westliche Geschäftsbanken zurückzuzahlen und werden auf der Gläubigerseite im Rahmen des Londoner Clubs koordiniert und verwaltet. Deutsche Banken sind hier ebenfalls besonders stark beteiligt. Zu den Altschulden gehören weiterhin noch offene Comecon-Schulden sowie Verbindlichkeiten gegenüber sonstigen offiziellen Gläubigern. Hinzu kommen die neuen Schulden der Russischen Föderation in Höhe von 92,3 Milliarden Dollar, wovon 30 Milliarden den Charakter von privaten Schulden russischer Unternehmen und Banken tragen.

Schwere Hypothek für die Zukunft

Diese riesige Schuldenlast ist für Russland eine Hypothek, die die Zukunft des Landes außerordentlich stark beeinträchtigt. Trotz einzelner positiver Tendenzen in letzter Zeit befindet sich Russland nach wie vor in einer tiefen Existenzkrise. Besonders in der Jelzin-Ära wurden wirtschaftlicher Niedergang und Chaos, mafiöse Cliquenwirtschaft, soziale Verelendung breiter Volksschichten sowie massive Kapitalflucht zu charakteristischen Merkmalen der russischen Gesellschaftsentwicklung. Die Wirtschaft Russlands wurde innerhalb eines knappen Dezenniums um 25 bis 30 Jahre zurückgeworfen.
Dementsprechend gibt es ein starkes Interesse der neuen Kremlmannschaft, den Schuldendienst zeitlich weiter zu verschieben oder gar Teile der Schulden im Rahmen der Gruppe der sieben reichsten Industriestaaten (G7) streichen zu lassen. In erster Linie wurden dafür die Altschulden der russischen Regierung ins Spiel gebracht. Eine Streichung von Schulden wurde jedoch von der G7 mit dem Argument abgewiesen, Russland könne sich als Weltmacht nicht wie ein hochverschuldetes Entwicklungsland verhalten. Eine einseitige Verweigerung des Schuldendienstes wiederum hätte schwerwiegende negative Auswirkungen auf den künftigen Zugang Russlands zu den internationalen Finanzmärkten.
Auch die russische Hoffnung - analog einer Vereinbarung mit dem Londoner Club - eine erneute Umstrukturierung der Schulden gegenüber dem Pariser Club zu erreichen, hat sich bisher nicht erfüllt. Ein bestehendes provisorisches Abkommen über die Zahlungsverschiebung für die russischen Verbindlichkeiten gegenüber dem Pariser Club lief daher Anfang dieses Jahres aus, so dass Russland im Februar den Schuldendienst für diese Beträge wieder aufnehmen musste.
Die besonderen Bemühungen der russischen Regierung sind nun darauf gerichtet, Deutschland als den Hauptgläubiger Russlands zu Zugeständnissen bei der Entlastung seiner komplizierten Schuldensituation zu bewegen. Anlass dafür ist unter anderem auch der für 2001 anstehende endgültige Klärungsprozess über die Bezahlung der sowjetischen Altschulden an die DDR.
Das Treffen von Bundeskanzler Schröder mit Präsident Putin in St.Petersburg im April dieses Jahres brachte zwar für Russland keine definitiven Resultate, aber immerhin ein positives Entgegenkommen. Schröder hat Russland Hilfe bei der Umschuldung seiner Auslandsverbindlichkeiten gegenüber dem Pariser Club signalisiert und in Aussicht gestellt, auch speziell über eine Umschuldung der Verbindlichkeiten gegenüber Deutschland nachzudenken, falls Russland in den Jahren 2003 und 2004 Schwierigkeiten mit der Rückzahlung haben sollte. Weiter geprüft werden soll der Vorschlag von Bundeskanzler Schröder, einen Teil der russischen Schulden gegen Anteile an russischen Unternehmen »umzutauschen« und auf diese Weise abzutragen.
Das ungelöste Problem der Bewertung von Verbindlichkeiten der ehemaligen UdSSR gegenüber der DDR in transferablen Rubeln von 6,4Milliarden Transferrubel soll alsbald einvernehmlich geklärt werden.

Osteuropa-Konkurrenz vom Markt gedrängt

Der historische Hintergrund dieses Teils der noch zu begleichenden sowjetischen Altschulden besteht vor allem darin, dass die damalige Bundesregierung im Zusammenhang mit der Einführung der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion ein starkes politisches und ökonomisches Interesse hatte, den DDR-Import aus dem RGW-Raum erheblich zu reduzieren. Der ostdeutsche Binnenmarkt sollte rasch von den westdeutschen Unternehmen besetzt werden. Speziell im Hinblick auf die anstehenden Wahlen sollten die westlichen Ladenketten, Kaufhäuser, Automärkte usw. für ein beeindruckendes Warenangebot Sorge tragen.
Innerhalb weniger Monate schrumpften die ostdeutschen Einfuhren aus der Sowjetunion von 15,4 Milliarden Mark 1989 auf 9,1 Milliarden 1990 und schließlich auf 4,7 Milliarden im Jahre 1991. Dies geschah, obwohl in den Verträgen von 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sowie über die Herstellung der Einheit Deutschlands vereinbart worden war, dass die gewachsenen außenwirtschaftlichen Beziehungen der DDR, insbesondere die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den RGW-Ländern, Vertrauensschutz genießen und sogar fortentwickelt und ausgebaut werden sollen (Artikel 29 des Einigungsvertrages).
Im Gegensatz zum Import konnte der ostdeutsche Export in die UdSSR nach Einführung der Währungsunion sogar zeitweilig gesteigert werden. Er stieg von 16,6 Milliarden Mark 1989 auf 17,8 Milliarden 1990, um dann 1991 auf nur noch 9,6 Milliarden abzusinken. Auch hier gab es entsprechende politische und wirtschaftliche Interessen der Bundesregierung. Sie waren darauf gerichtet, den ostdeutschen Unternehmen angesichts des zusammenbrechenden Inlandsabsatzes die für sie besonders wichtigen Absatzmöglichkeiten auf dem RGW-Markt zumindest zeitweilig weiterhin zu sichern. Dies war angesichts der bevorstehenden Wahlen für die Bundesregierung politisch sehr wichtig.
Außerdem sollten zusätzliche, mit der Sowjetunion vereinbarte ostdeutsche Konsumgüterlieferungen einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungslage in der UdSSR und zur Stabilisierung der Gorbatschow-Politik leisten.
Die Orientierung der Betriebe auf den Ostexport wurde weiterhin durch den außerordentlich verschärften Wettbewerbsdruck auf dem durch die Währungsunion nunmehr geöffneten ostdeutschen Binnenmarkt begünstigt. Zwar wurden die ostdeutschen Export-Unternehmen durch die Umstellung des Umrechnungssatzes zwischen der Mark und dem transferablen Rubel nur noch halb so viel an Erlösen gutgeschrieben wie vor der Währungsunion, aber es gab zeitweilig (bis Ende 1990) auf Antrag der Exportbetriebe bestimmte Subventionierungsmöglichkeiten von Seiten des Bundesamtes für Wirtschaft bzw. der Treuhandanstalt. Auf der Importseite gab es demgegenüber diese Möglichkeit im Grunde nicht.
Ab 1991 ergab sich dann im Handel mit den RGW-Ländern eine prinzipiell neue Situation. Wie damals zu großen Teilen auf dem Weltmarkt üblich, vollzog sich bis Ende 1990 der Zahlungs- und Verrechnungsverkehr der DDR mit den sozialistischen Ländern auf der Basis des bilateralen bzw. multilateralen Clearings. Im Rahmen des RGW wurde als Verrechnungswährung dabei der transferable Rubel angewandt. Obwohl die DDR im Zusammenhang mit der Einführung der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion Mitte 1990 aus dem RGW-Wirtschaftsverbund austrat, wurde die Verrechnung der ostdeutschen Außenwirtschaftsbeziehungen mit den RGW-Ländern bis Ende 1990 noch auf der Basis des transferablen Rubels abgewickelt. Erst ab 1991 trat an seine Stelle die Bezahlung in konvertierbaren Währungen. Besonders dadurch trafen die ostdeutschen Exporteure nunmehr auf wachsende Zahlungsschwierigkeiten der mittel- und osteuropäischen Länder. Die Absatzschwierigkeiten der ostdeutschen Unternehmen wurden dann durch den dortigen Transformationsschock und die Strukturkrise sowie durch die sich verändernden Wettbewerbsverhältnisse und Bedarfsstrukturen ständig verschärft.

Für acht Jahre über allen Gipfeln Ruh

Die divergierende Ex- und Import-Entwicklung führte zu einem bedeutenden Handelsüberschuss der DDR gegenüber ihren osteuropäischen Partnern. Bis Ende 1990 entstanden aus dem Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie aus Regierungskrediten und Investitionsbeteiligungen der DDR deutsche Guthaben in Höhe von rund zwölf Milliarden transferablen Rubeln. Dieser Betrag repräsentierte einen realen Gütertransfer in die genannten sozialistischen Länder und beinhaltet somit auch sehr berechtigte Zahlungsforderungen. Die Bundesregierung übernahm diese Guthaben und führte mit den entsprechenden Ländern Verhandlungen über ihre Umbewertung in Mark und über die Regelung der Schulden-Rückzahlung. Über den Inhalt dieser Abkommen wurde Vertraulichkeit vereinbart.
Im Ergebnis der zumeist zwischen 1993 und 1995 abgeschlossenen Regierungsabkommen wurde inzwischen ein beträchtlicher Teil dieser Verbindlichkeiten in Form von Ratenzahlungen beglichen. Mit Russland wurde im Rahmen einer Globallösung - zu der auch die Liegenschaften der Westgruppe der Sowjetarmee und deren vorzeitiger Abzug gehörten - im Dezember 1992 vereinbart, dass im Laufe von acht Jahren die Frage der Schulden in transferablen Rubeln nicht zum Gegenstand von Diskussionen gemacht werden solle. Jedoch wurde im April 1995 zwischen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (in die die ehemalige Staatsbank der DDR integriert worden war) und der Außenwirtschaftsbank der Russischen Föderation der bis dahin umstrittene Umfang des deutschen Guthabens in transferablen Rubeln bankenmäßig abgestimmt. Für die ab 2001 anstehenden deutsch-russischen Regierungsverhandlungen wurde so eine einvernehmliche Grundlage geschaffen.
Strittig ist nun nur noch die Frage, wie im deutsch-russischen Verhältnis diese Beträge in Mark bzw. in andere konvertierbare Währungen umzubewerten sind. Der transferable Rubel war als Verrechnungswährung nicht Gegenstand des Devisenhandels und hatte insofern auch keinen echten Wechselkurs. Für die Umrechnung der Erlöse und Aufwendungen in transferablen Rubeln in die jeweilige nationale Währung der einzelnen RGW-Länder gab es jedoch interne Umrechnungskoeffizienten. Sie wurden von den Regierungen der einzelnen RGW-Länder autonom auf Grund von Kaufkraftvergleichen (d.h. von Vergleichen zwischen RGW-Vertragspreisen und Binnenpreisen des jeweiligen Landes, bezogen auf dessen Exportstruktur gegenüber dem RGW-Raum) errechnet. Für die DDR galt bei der Abrechnung ihres Außenwirtschaftsverkehrs im Zeitraum von 1981 bsi 1989 ein Umrechnungsverhältnis von 1 transferabler Rubel = 4,67 Mark Valutagegenwert.
Die Deutsche Bundesbank musste die Beträge in transferablen Rubeln bei den Banken und Unternehmen der DDR im Zusammenhang mit der Einbeziehung Ostdeutschlands in den Geltungsbereich der D-Mark nunmehr entsprechend umbewerten. Gemäß dem generellen Umstellungsverhältnis für Forderungen und Verbindlichkeiten der Unternehmen und Banken der DDR im Verhältnis 1D-Mark = 2DDR-Mark wurde in analoger Weise auch bei der Umrechnung dieser Beträge verfahren. Ein transferabler Rubel wurde nunmehr mit 2,34 DM gleichgesetzt. Dieses Verhältnis wurde auch im Ergebnis von Auswirkungsberechnungen für den Import als vertretbar und relativ realistisch eingeschätzt.
Diese Bewertung konnte jedoch nur für die Statistik und das Buchwerk der Unternehmen und Banken in Deutschland Gültigkeit erlangen. Für die Beziehungen zu Russland hatte sie keine praktische Bedeutung, weil die Umrechnung des transferablen Rubels in die jeweilige nationale Währung schon von jeher stets eine nationale Entscheidung und nicht Gegenstand einer internationalen Vereinbarung war. Hinzu kommt, dass auch die Umstellungsmodalitäten zwischen DDR-Mark und D-Mark im Rahmen der deutschen Währungsunion natürlich autonom festgelegt wurden und zudem schon in Deutschland selbst heftig umstritten waren. Ihre Übertragung auf den transferablen Rubel konnte von russischer Seite also kaum Akzeptanz finden.
Von Russland wird nun hinsichtlich der Umwandlung dieser Verbindlichkeiten eingewandt, dass bei einem Umrechnungsverhältnis von 1:2,34 eine Überbewertung des transferablen Rubels erfolge und Russland dadurch über Gebühr zur Kasse gebeten würde. Es gibt in Russland zudem die Position, dass nach eigenen vorläufigen Berechnungen Deutschland der russischen Seite 16,5 Milliarden Transferrubel schuldet. Eine für beide Parteien tragfähige Variante, so Russlands stellvertretender Finanzminister Sergej Kolotuchin im Frühjahr dieses Jahres vor der Presse, könnte eine »Nullvariante« sein - die Annullierung gegenseitiger finanzieller Ansprüche aus dem Handel UdSSR-DDR.

Welcher Kurs ist denn nun der richtige?

Inzwischen wird aber darüber verhandelt, ob ein transferabler Rubel mit einem US-Dollar gleichgesetzt werden könne. Im Jahre 1989 hatte ein Dollar einen Außenwert von 1,88 DM. Im Vergleich zur offiziellen internen deutschen Bewertung würde dann der transferable Rubel um rund 20Prozent niedriger bewertet, und dementsprechend würden auch die sowjetischen Transferrubel-Altschulden statt 14,98Milliarden nur 12,03Milliarden Mark betragen.
Noch günstiger für Russland wäre die Anwendung des Dollarkurses des Jahres 1990. Ein Dollar entsprach damals 1,62DM. Die Altschulden würden dann nur noch 10,37 Milliarden DM betragen und würden gar um 30Prozent niedriger ausfallen. Russland will aber derzeit seine Transferrubel-Schulden nur mit drei Milliarden Dollar bewertet wissen. Beim aktuellen Wechselkurs des Dollars zur DM wären das noch knapp sieben Milliarden Mark.
Im Interesse der Förderung der deutsch-russischen Beziehungen sowie auch der wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung der Russischen Föderation sollte die deutsche Seite beim Streit um die richtige Bewertung der sowjetischen Altschulden gegenüber der DDR sehr ausgewogen herangehen, aber stets die Rechtmäßigkeit und ökonomische Fundiertheit dieser Ansprüche vertreten.

Der Autor, Ökonom, beschäftigt sich ...

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