Zeugen Jehovas vor dem Ziel
Fast alle Länder haben die Gleichstellung der Glaubensgemeischaft mit den Kirchen beschlossen
Mainz. Das Datum für Harmagedon, den Weltuntergang mit Erlösungsversprechen, musste schon mehrfach verschoben werden. Einem anderen Ziel sind die Zeugen Jehovas in Deutschland dagegen näher als je zuvor. Mittlerweile haben zwölf der 16 Bundesländer sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt, die christliche Sondergemeinschaft ist damit bundesweit fast überall rechtlich den großen Kirchen in Deutschland gleichgestellt.
Vor allem Rheinland-Pfalz sträubt sich noch, den Zeugen den begehrten Status zu verleihen. Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hatte vor einem Jahr angekündigt, die Behörden im Land würden Material sammeln, mit dem eine Anerkennung womöglich noch verweigert werden könnte. Doch die deutschen Gesetze unterscheiden nicht zwischen »guten« und »weniger guten« Religionen. »Das sind ganz formale Kriterien«, sagt Michael Germann, Professor für Staatskirchenrecht an der Universität Halle-Wittenberg. »Jede Religions- und jede Weltanschauungsgemeinschaft, die stabil organisiert ist und sich an die Gesetze hält, hat Anspruch auf den Status.«
Um den Antrag abzulehnen, müssten den Zeugen Jehovas systematische Verstöße gegen Gesetze nachgewiesen werden, so Germann. Berichte einzelner traumatisierter Aussteiger würden dafür kaum ausreichend sein.
2006 begann Berlin
Nach über 15-jährigem Prozessmarathon hatten die Zeugen Jehovas 2006 ihre Anerkennung zunächst in Berlin durchgesetzt und danach bundesweit eine sogenannte Zweitverleihung der Körperschaftsrechte beantragt. 2009 haben fast alle Länder diesen Schritt vollzogen, zumeist in aller Stille. In Baden-Württemberg hat der Ministerpräsidentenwechsel das Prozedere verzögert, in Nordrhein-Westfalen wird die Anerkennung wohl erst nach der Landtagswahl im Frühjahr stattfinden. In Bremen muss die Bürgerschaft zustimmen, doch nach einer heftigen Debatte ist das Verfahren zunächst bis April unterbrochen.
»Das ist verlorene Liebesmüh«, glaubt inzwischen selbst Michael Utsch von der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin. Statt Widerstand gegen die Körperschaftsrechte zu leisten, müssten staatliche Stellen besser über die Lehren der Zeugen Jehovas sowie darüber aufklären, wie rigoros diese mit Abtrünnigen umgehen. Wer aussteigen wolle, setze seine kompletten sozialen Beziehungen zum bisherigen Umfeld aufs Spiel.
Die Glaubensgemeinschaft, die ihr Sekten-Image bislang nicht ablegen konnte, erhofft sich offenbar vor allem einen Prestigegewinn durch die Gleichstellung mit den Kirchen. Das Grundgesetz sehe eine bestimmte Rechtsform für Religionsgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas vor, sagt Gajus Glockentin, Justiziar und Pressesprecher in der Deutschlandzentrale der Zeugen. »Wir streben den Status an, der uns zusteht.«
Modell für Scientology?
Als Körperschaft können Religionsgemeinschaften mit staatlicher Hilfe zwar Kirchensteuern einziehen, konfessionelle Kindergärten einrichten und Religionsunterricht an Schulen anbieten. Von diesen Vorrechten aber wollen die Zeugen Jehovas, die auf das baldige Weltende und die Vernichtung aller Ungläubigen warten, nach eigener Aussage auch in Zukunft keinen Gebrauch machen.
Der EZW-Experte Michael Utsch fürchtet freilich, dass die Anerkennung künftig einen »gewissen Modellcharakter« für andere problematische Vereinigungen wie Scientology haben könnte.
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