900 Kilo Erz für einen Laptop
Krisen-CeBIT 2010: Jetzt will auch die IT-Branche grüner werden
Vom Stehplatz im ICE durch den überbevölkerten Hauptbahnhof in die überfüllte S-Bahn, ein bisschen Schlangestehen am Messetor – und schon können sie losgehen, die Geduldsproben zwischen den Ständen, in der Toilettenschlange und bei den Bratwürsten: Für Laien ist nichts zu erkennen von einer Krise auf der diesjährigen CeBIT. Auch wenn einige Hallen geschlossen und andere nicht komplett belegt sind: 4157 Unternehmen aus 68 Staaten sorgen für ziemliches Gewusel. Doch die CeBIT 2010 markiert einen Tiefstand: Seit 20 Jahren kamen nicht mehr so wenige Aussteller zur weltgrößten Computermesse nach Hannover.
Hybrider TV- und Internetempfänger
Gegen Flaute hilft Innovation. Niemand weiß dies besser als die junge IT-Branche mit ihren periodischen Höhenflügen und Abstürzen. Doch das wirklich heiße Ding – wie der USB-Speicherstick, der 2001 vorgestellt wurde – scheint heuer nicht dabei zu sein. Der Pulk kundiger Fachjournalisten, der zur Trendfindung traditionell vorab durch das Gelände geschleust wird, guckte sich diesmal die Firma Videoweb aus Karlsruhe aus, die einen »hybriden« High-Tech-TV- und Internet-Empfänger für das Wohnzimmer vorstellte. Aufregendes Neuland sieht anders aus.
Auch bei einem anderen erkennbaren Schwerpunkt scheint die Anfangseuphorie verflogen: Internet-Telefonie (»Voice over IP«) wird wegen der niedrigen Kosten auch für Firmenkommunikation interessant. Allerdings »erst wenn das wirklich sicher ist«, zweifelt ein Mittelständler, der gerade einem Vortrag über das »absolut sichere Endgerät« folgt.
Populärer ist, was die Vorab-Jury, passend zum Zeitgeist, zum gesellschaftlichen Thema ausgerufen hat: »Green IT«. Um Grünes geht es schon zum dritten Mal auf der Messe, doch nie war der Aufwand so groß. Entsprechend hat der Branchenverband Bitkom am Donnerstag in Halle 8 aufgefahren: Während im Hintergrund die Messe weiterrauscht, nimmt auf der Bühne ein hochkarätiges Podium Platz: Fujitsu-Manager Bernd Kosch sitzt neben Jürgen Sturm, dem »Chief Information Officer« von Bosch-Siemens. Jan Berger vom Umweltministerium und Joachim Pfeiffer, stellvertretender wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, komplettieren die Runde. Die IT-Branche, so der Mann aus dem Ministerium, sei derzeit für etwa drei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich – immerhin so viel wie die Luftfahrt –, 200 Millionen Tonnen Kohlendioxid könnten bis 2020 eingespart werden durch energieeffizientere Computer auf der einen und computergesteuerte Optimierung herkömmlicher Maschinen auf der anderen Seite. Dennoch, so Pfeiffer, wächst der Energiehunger der Informationstechnologie: Vor einem Jahrzehnt habe ihr Anteil am inländischen Stromverbrauch sieben Prozent betragen, heute seien es zehn Prozent.
Über den richtigen Weg sind sich die Männer von Fujitsu und Bosch-Siemens einig: Eine für Laien nachvollziehbare Energieeffizienz-Kennzeichnung soll schnell her. Ob Endverbraucher oder Kleinunternehmer, »entscheidend ist der Massenmarkt«, sagt Kosch. Sturm assistiert: »Das Öko-Kriterium ist weltweit im Kommen.« Dafür werde inzwischen auch tiefer in die Tasche gegriffen, längst nicht mehr nur in Europa.
Berger sagt, eine EU-Richtline über Mindesteffizienzanforderungen werde schon beraten; »in einem halben Jahr« seien Ergebnisse zu erwarten. Kosch erinnert noch an die Potenziale des »Smart Grid«, des mitdenkenden Stromnetzes. Dann löst sich die Runde in Wohlgefallen auf – während es im Hintergrund immer unruhiger wird.
Auf dem Lehrpfad vom Umweltbundesamt
Der Grund ist eine Schulklasse am nahen Stand des Umweltbundesamtes. Dort ist ein Lehr-Parcours aufgebaut, der plastisch zeigt, wie viel Erz (900 Kilo, ohne Abraum) und Wasser (4000 Liter) die Herstellung eines einzigen Laptops beansprucht. Einige staunen, andere spielen einander vor, wie es wohl aussähe, einen Tonnen-Rechner zu schleppen. Es muss flott gehen, denn schon rückt die nächste Gruppe an.
Nur so kann im Übrigen folgende Veranstalter-Mitteilung zur Halbzeit entstanden sein: Bei den Besuchern gebe es ein »spürbares Plus«. An manchen Ständen sei der Publikumsverkehr um mehr als 20 Prozent gestiegen.
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