Gebrochene Siegel
Der Martin-Gropius-Bau zeigt Exponate aus dem zerstörten Kölner Stadtarchiv
Archivalien scheuen das Licht, bemerkte Gereon Sievernich, Direktor des Martin-Gropius-Baus, anlässlich der Präsentation der Ausstellung »Köln in Berlin. Nach dem Einsturz: Das Historische Archiv« in seinem Hause. Der schockierende Zusammenbruch des Magazingebäudes des Kölner Archivs vor fast genau einem Jahr, die anschließenden Rettungs- und Bergungsaktionen sowie die Notwendigkeit, Geldmittel für die Restaurierung der Objekte und die Reorganisation des Sammlungscorpus einzuwerben, führten in diesem Falle zur Ausnahme von der Regel: 100 Objekte vom Mittelalter bis ins letzte Jahrhundert, die sonst dem zersetzenden Licht der Sonne entzogen sind und allenfalls Forschern und anderen Interessenten mit beglaubigtem Interesse zugänglich gemacht werden, sind jetzt bis zum 11. April in den abgedunkelten Räumen des Martin-Gropius-Baus zu besichtigen.
Unter den ausgestellten Schriftstücken befinden sich imposante Dokumente – etwa eine Urkunde Kaiser Barbarossas aus dem Jahre 1167, ausgestellt anlässlich seines siegreichen Einzugs in die Stadt Rom und die Landfriedensurkunde aus dem Jahre 1254, mit der der Rheinische Städtebund besiegelt wurde. Die gebrochenen Siegel dieser Landfriedensurkunde geben einen ersten Hinweis auf den Grad der Zerstörung. Deutlicher noch wird dieses Ausmaß anhand eines Kopiars, also einem Band von mittelalterlichen Dokumentenabschriften, dessen Einband durchnässt, zerbrochen und gequetscht ist. Ein modernes Register ist gar so zerfetzt, dass es wie ein kubistisches Faltkunstwerk anmutet, dessen Bestandteile in alle Richtungen auseinanderstreben.
Es befinden sich aber auch weniger malträtierte und wegen der beeindruckenden Farbigkeit der Illustrationen fast schon spektakulär zu nennende Bände unter den Ausstellungsstücken. Herauszuheben sind ein sogenannter »Spiegel der Jungfrauen«, der ein Gespräch über den Weg zur Vollkommenheit darstellt, und ein Hansekopiar.
Köln war ein wichtiger Stützpunkt der Hanse. In dem damals schon bestehenden Stadtarchiv wurden viele Dokumente eingelagert. Zuwächse aus den niederländischen Städten, die wegen der Kriegswirren im 16. Jahrhundert ihre Bestände an Köln abgaben, erhöhten die Bedeutung des rheinischen Hansearchivs.
Weil in Köln relativ früh mit dem Archivieren von Dokumenten begonnen wurde, gilt das Archiv als das bedeutendste Kommunalarchiv diesseits der Alpen. Die Bestände füllen über 30 Regalkilometer. Gereon Sievernich verglich es vom kulturellen Stellenwert und der Dimension der Schädigung her mit der in Weimar niedergebrannten und wieder aufgebauten Anna Amalia-Bibliothek.
Ungefähr 85 Prozent der Akten und Dokumente konnten bislang geborgen werden, informierte die Leiterin des Archivs, Bettina Schmidt-Czaia. Fünf Prozent gelten als Totalverlust. Zehn Prozent vermutet Schmidt-Czaia noch in dem Trümmerfeld. Sie sollen nach Aussagen des Kölner Kulturdezernenten Georg Quander im Laufe dieses Jahres geborgen werden.
»Im Zuge dieser Arbeiten erhält auch die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, die Ursache des Unglücks zu erkunden. Der entscheidende Bereich liegt derzeit in 30 bis 40 Metern Tiefe und ist von Wasser überflutet«, sagte Quander. Als sicher gilt, dass Mängel beim Kölner U-Bahn-Bau die Katastrophe auslösten. Der genaue Hergang ist aber noch unklar. Die Ermittlungsverfahren zu den zwei Todesfällen beim Einsturz richten sich gegen Unbekannt, selbst wenn mittlerweile weitere Unregelmäßigkeiten bei der Baufirma Bilfinger und Berger bekannt wurden.
Für die Restaurierung der geretteten Objekte veranschlagt das Archiv eine 30-jährige Arbeit von 200 Restauratoren. »Das beschäftigt zwei Generationen«, meinte Wilfried Reininghaus, Präsident des Landesarchives NRW. Restauratoren haben also derzeit gute Karten für eine gesicherte Berufslaufbahn. Allerdings nur, wenn die benötigten 350 bis 400 Millionen Euro auch zusammenkommen. Als Anschubfinanzierung für die ersten vier Jahre stellt die Stadt Köln 63,1 Millionen Euro zur Verfügung. 61,5 Millionen stammen aus der Versicherungszahlung nach dem Einsturz.
Weitere 100 Millionen werden für den Neubau des Archivgebäudes prognostiziert. Eine europaweite Ausschreibung soll im Herbst erste Ergebnisse bringen. Das neue Historische Archiv soll 2015 fertig werden, ebenso die neue U-Bahn. Schmidt-Czaia muss neue Komplikationen aber nicht befürchten. »Der neue Standort hat einen Staßenbahn-Anschluss«, atmet sie auf.
6. März bis 11. April , Martin-Gropius-Bau, Informationen unter www.berlinerfestspiele.de
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