Harter Konkurrenzkampf
SPD-Chef Müller will anderen nichts schenken – »ob Koalitionspartner oder nicht«
ND: Von der Bundestagswahl hat sich die SPD in Berlin gerade erholt, da kommt die Howoge-Affäre. Haben Sie eine Pechsträhne?
Müller: Schön ist das Thema nicht. Das muss alles vollständig geklärt werden. Ich bin froh, dass der Senat schnell gehandelt hat, indem er die Geschäftsführer abgesetzt hat und Aufklärung betreibt.
Eine Konsequenz könnte das Schrumpfen der Koalitionsmehrheit auf eine Stimme sein, wenn Genosse Hillenberg ginge und das Mandat mitnähme.
Wir werden in der Fraktionssitzung über die Howoge und die Konsequenzen sprechen. Die von Ihnen aufgeworfene strategische Frage spielt für die Bewertung keine Rolle. Aber insgesamt erlebt die Berliner SPD keinen Rückschlag. Ganz im Gegenteil. 2010 hat sehr gut begonnen mit der Fraktionsklausur und der Themensetzung Integration, Arbeit, Mieten, soziale Stadt und Wirtschaft. Umfragen zeigen, dass das positiv aufgenommen wird.
Die Botschaft der Eisenacher Fraktionsklausur war ja klar: mit Klaus Wowereit die Wahl gewinnen und deutlich stärkste Fraktion werden. Mit so einem Satz beginnt Wahlkampf?
Den hat zu meiner Verwunderung schon im September der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Lederer, eingeläutet. Wir führen so früh keinen Wahlkampf. Richtig ist aber, dass es in den nächsten Monaten eine Konzentration auf Schwerpunkte geben muss. Neben den inhaltlichen Schwerpunkten ist wichtig, welche Personen stehen für diese Themen. Das ist bei uns klar und entschieden. Klaus Wowereit ist und bleibt die Nummer 1. Mit ihm gehen wir in den Wahlkampf und mit ihm werden wir gewinnen.
Mit welchem Gegner wird es besonders interessant?
Bei der politischen Konkurrenz herrscht noch eine sehr unübersichtliche Situation. Sie können oder wollen sich nicht festlegen, haben entweder gar keinen Kandidaten oder vermeintlich gleich mehrere.
Die SPD will 2010 die politische Deutungshoheit verteidigen – was heißt das?
Man darf sich nicht treiben lassen von anderen, sondern muss eigene Akzente setzen. Das haben wir aus dieser schmerzlichen Bundestagswahl gelernt. Die SPD muss also die Deutungshoheit bei den wichtigen Themen Wirtschaft, Arbeit, Bildung und Integration festigen oder zurückerlangen: Wir wollen keine Privatisierungen, sondern im Bereich der Daseinsvorsorge rekommunalisieren. Wir setzen auf Zukunftsindustrien und das heißt auf mehr Arbeitsplätze. Wir begreifen Integrationspolitik als soziale Integration.
Das hörte sich auf der Klausur der Linkspartei gerade alles sehr ähnlich an.
Wir sind nicht zufällig in einer Koalition. Andererseits ist offensichtlich auch die Linkspartei beeindruckt, wie unser Start in dieses politische Jahr war und in welch eindrucksvoller Form sich Klaus Wowereit positioniert hat. Die Linksfraktion bemüht sich, Anschluss zu halten. Das ist auch dringend geboten, besonders dort, wo sie selbst die Senatsressorts besetzt. Ich glaube, es ist auch ein bisschen Furcht dabei, dass die SPD-Fraktion und die SPD Berlin der Linkspartei ein paar Schwerpunkte wegnehmen könnten.
Kann das denn gut gehen?
Es wird spannend sein für die Wählerinnen und Wähler, wo es unterschiedliche Angebote gibt. Zum Beispiel in der Integrationspolitik machen wir einen Unterschied zur Linkspartei deutlich. Es geht um den Anspruch von Klaus Wowereit, den Aufstiegswillen zu stärken und Integrationspolitik viel weiter zu fassen als nur auf den engen Bereich des Zuzuges von Migranten. Integrationspolitik bedeutet auch ein hervorragendes Bildungsangebot, deswegen diese sozialdemokratische Schulreform. Sie bedeutet eine Perspektive, deswegen setzen wir auf Industriearbeitsplätze. Das bedeutet sicher auch soziale Unterstützung, eine vernünftige Stadtentwicklungspolitik, damit es keine soziale Spaltung gibt. Das ist ein neuer Ansatz.
Das klingt auch nach Geld ausgeben.
Die Frage ist, wie und wo gebe ich es aus. Unsere Schulreform ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Geld, das schon im System ist, einsetzt. Auf bestimmte Bereiche müssen wir uns konzentrieren, andere werden vielleicht nicht mehr ganz so viel haben können wie vorher.
Welche?
Wir müssen uns die einzelnen Ausgaben für Projekte genau anschauen. Bringen sie etwas, dann müssen sie fortgesetzt oder sogar aufgestockt werden. Bringen sie nichts, müssen sie gestoppt werden. Diese kritische Bilanz muss in vielen Bereichen erfolgen, z. B. auch im Sozial- und Wirtschaftsbereich.
Der Bund will die Länder auch noch schröpfen. Wird dagegen vielleicht eine neue Gemeinschaft über Parteien hinaus entstehen?
Ich hoffe sehr, dass es zu einem überparteilichen Bündnis der Länder, der Kommunen kommt. Es ist eine Katastrophe, ein sozialpolitischer und finanzpolitischer Kahlschlag. Eine solche soziale Spaltung in unserer Gesellschaft können wir uns nicht leisten. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren.
Fühlen Sie sich in der Forderung auch des Berliner Landesverbandes bestätigt, zu sozialdemokratischen Wurzeln zurückzukehren?
Wir diskutieren sehr intensiv über den Begriff Solidarität. Das ist einer der schönen, guten, klassischen Grundwerte der Sozialdemokraten. Solidarität heißt, einer muss sich für den anderen engagieren – die Starken helfen den Schwachen. Die Sozialdemokraten müssen und wollen dafür stehen, dass der soziale Ausgleich in der Gesellschaft organisiert wird. Diese sozialdemokratischen Wurzeln sind gerade in Zeiten von Wirtschaftskrisen aktueller denn je, und genau darauf wollen wir uns auch besinnen.
Die LINKE hat erklärt, sie wolle die »Kümmerpartei« sein. Die Bürger sollen zu ihr kommen können. Das ist sicher eine Konkurrenz.
Ich glaube, dass bei der Linkspartei einiges im Argen liegt. Nicht nur auf der Bundesebene. Ich erwarte, dass sie sich um ihr Verhältnis zu Gewalttaten von Linksextremen kümmert. Oder darum, wie die Mittelverwendung im Sozialbereich z. B. bei der Treberhilfe kontrolliert wird. Die Senatsverwaltung für Soziales ist seit acht Jahren in der Verantwortung. Wie hält es der Wirtschaftssenator mit der Verkehrsanbindung der Gewerbegebiete im Ostteil der Stadt?
Es gibt einiges, das die Linkspartei auch intern zu klären hat. Wenn sie darüber hinaus in die Stadt hineinhört, sich Sorgen und Nöten annimmt, schadet das doch nicht.
Von der Linkspartei die soziale Stadt, von den Grünen die nachhaltige Zukunft – Ihre Partei schont keine Erbhöfe. Ist das eine Einladung oder eine Kampfansage?
Ich bin Vorsitzender der Berliner SPD. Ich schenke den anderen nichts. Wir sind in einem harten Konkurrenzkampf. Ob Koalitionspartner oder nicht. Wir haben trotz aller Schnittmengen unterschiedliche Konzepte. Es ist richtig, ich überlasse hier niemandem Themen.
Sie wollen raus aus einer Situation, in der sich vier Parteien etwa auf gleicher Augenhöhe befinden.
Aber natürlich. Die SPD hat den Anspruch, dauerhaft die führende Partei in dieser Stadt zu sein. Ich kämpfe darum, dass wir weiter regieren, dass wir die Mehrheiten haben. Nur dann kann man politische Konzepte umsetzen. In der Opposition kann man gar nichts machen.
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