(K)eine Bockwurst in Genthin
Erstmals dokumentiert: Louis Armstrongs DDR-Tournee im Jahr 1965 – Auszug aus dem Buch von Stephan Schulz
Dass Louis »Satchmo« Armstrong im Frühjahr 1965 zu einer vierwöchigen Konzertreise hinter den Eisernen Vorhang aufbrach, war eine Sensation. Im frostigen Klima des Kalten Krieges und just zu dem Zeitpunkt, als in seiner US-amerikanischen Heimat blutige Rassenunruhen tobten, begeisterte der »King of Jazz« seine Fans in der CSSR, in Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und der DDR. Der Journalist Stephan Schulz rekonstruiert Armstrongs Tournee durch die DDR in seinem soeben erschienenen Buch »What A Wonderful World«. In Fakten, Fotos und Erinnerungen zeichnet er das Bild eines warmherzigen Vollblutmusikers ohne Allüren, der sein Publikum ebenso liebte, wie er von ihm geliebt wurde. Kommentare zur politischen Großwetterlage verweigerte Armstrong, soweit es ging. Sein Beitrag zur Völkerverständigung bedurfte keines Megaphons – nur einer Trompete, die niemand so spielte wie er.
Vera Meyer, 78, pfeift ein eisiger Wind um die Nase. Jetzt, am frühen Vormittag, ist die Innenstadt nahezu menschenleer. Nur einige Schulkinder stehen vor einem Zeitungskiosk, essen Kekse, trinken Cola und unterhalten sich lautstark. Vera Meyer schenkt ihnen keine weitere Beachtung, denn die Gedanken der pensionierten Sportlehrerin kreisen um ein außergewöhnliches Ereignis, das sich hier, direkt vor ihren Augen, vor 45 Jahren abgespielt hat.
Damals, am 6. April 1965, rollte ein Schweizer Reisebus auf den Marktplatz, der von allen Passanten sofort neugierig beäugt wurde. Zum einen weil es seit dem Mauerbau so gut wie nicht mehr vorkam, dass sich Autos aus dem westlichen Ausland nach Genthin verirrten. Zum anderen weil es aus dem Kühler qualmte.
Vera Meyer und ihr inzwischen verstorbener Ehemann Erhard waren zu diesem Zeitpunkt in der Innenstadt unterwegs. Am Marktplatz stieg gerade eine Gruppe dunkelhäutiger Frauen und Männer aus dem Sc...
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