Tödliche Therapie mit Ecstasy
Psychotherapeut wegen versuchten Mordes und Körperverletzung angeklagt
Was geschieht bei einer »psycholytischen Intensivsitzung«? Erfahren konnte man es gestern im Schwurgerichtssaal 500 des Kriminalgerichts Moabit, wo der 51-jährige Arzt Garri R. des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt ist. Am 19. September hatte der Mediziner solch eine »psycholytische Intensivsitzung« in seiner Privatpraxis in Hermsdorf abgehalten. Mit tödlichen Folgen für zwei Patienten, fünf weitere erlitten Vergiftungen.
Was da im einzelnen abgelaufen ist, schilderte der sichtlich angeschlagene Arzt, der seit September in Untersuchungshaft sitzt, in einer von ihm verlesenen Erklärung. Danach haben sich zwölf Frauen und Männer – teils alte Bekannte, aber auch Neulinge – in einem Kreis zusammengefunden, bei dem bewusstseinsverändernde Substanzen verabreicht wurden.
Die Sitzung begann mit Musik zur Einstimmung, dann erläuterte der Arzt den Ablauf des Tages und die Wirkungsweise der einzelnen Medikamente. Zunächst aber sollten die Teilnehmer ihre Wünsche für den Tag formulieren, dann bekamen sie die erste Dosis, so genannte Neocor-Kapseln mit dem Wirkstoff Methylon. Nach 20 Minuten zeigte der Stoff Wirkung, die Anspannung unter den Patienten wich, sie zeigten sich geläutert und genossen ihre eigene Offenheit. Später folgte die zweite Welle. Wieder sprach Garri R. über Risiken und Nebenwirkungen, dann schritt er zur Tat. Er wog die einzelnen Portionen ab, stellte dabei fest, dass die Waage nicht einwandfrei funktionierte. Trotzdem machte er weiter. An sieben Patienten verteilte er Methylendioxymethamphetamin (MDMA) in Pulverform, auch Ecstasy genannt. Das aber ist illegal und der Mediziner wusste es. Er aber war überzeugt, dass keine Gefahr für Leben und Gesundheit der Patienten bestehen würde. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hätte der Arzt wissen müssen, dass eine Überdosis MDMA oder der Mischkonsum mit Neocor tödliche Folgen haben kann. Gegen 14 Uhr begann das Gift zu wirken. Einer begann, über seine unglücklichen Beziehungen zu erzählen, ein anderer ging auf und ab, ein dritter legte seinen Kopf in den Schoß des Arztes, ein vierter schlief auf dem Fußboden.
Nach und nach wandelte sich die Stimmung. Die Patienten wurden unruhig, weinten. Es breitete sich Panik aus. Ein 59-Jähriger schien auf dem Sofa zu schlafen, doch der Arzt sah, dass er blau angelaufen war. Auch der herbeigerufene Notarzt konnte nicht mehr helfen. Alle Versuche zur Reanimation scheiterten. Ein 28-Jähriger, den der Psychotherapeut zunächst in seine Privatwohnung hatte bringen lassen, starb später auf der Intensivstation im Krankenhaus.
»Ich wollte immer nur helfen und Gutes für die Menschen tun«, erklärte unter Tränen ein gebrochener Mann. Nur der Gedanke an seine Kinder habe ihn daran gehindert, Selbstmord zu begehen.
Verteidiger Ferdinand von Schirach rückte das Geschehen vor dem Gerichtssaal in die Nähe eines Unfalls und erinnerte an die Selbstverantwortung jedes Patienten. Sie hätten genau gewusst, was sie zu sich nehmen würden.
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