Berlin lieferte Meilenstein für direkte Demokratie
Bürgerinitiative stellte Jahresbericht 2009 über Volksabstimmungen in der Bundesrepublik vor
»In Berlin ist direktdemokratisch gesehen einiges los.« Michael Efler, Vorstandssprecher des Vereins Mehr Demokratie, hob gestern bei der Vorstellung des Jahresberichts 2009 der unabhängigen Bürgerinitiative die bundesweite Bedeutung der Hauptstadt, was Volksbegehren angeht, hervor. Seitdem 2006 die Berliner mit einer Volksabstimmung die Bedingungen für solche Abstimmungen erleichterten, gab es eine ganze Reihe von Volksbegehren.
Für den Berichtszeitraum 2009 hatte Berlin sogar ein bundespolitisches Novum seit 1946 zu bieten: »Es gab den ersten Volksentscheid in der deutschen Geschichte, bei dem sich eine Mehrheit gegen den Vorschlag eines Volksbegehrens ausgesprochen hat«, erklärte Efler. Gemeint war die Abstimmung über die Rolle des Religionsunterrichts an den Berliner Schulen: Dabei hatte eine Mehrheit von 51,2 Prozent der Abstimmenden im April 2009 das Ansinnen, ein Wahlpflichtfach Religion einzuführen, abgelehnt. »Pro Reli« war im vergangenen Jahr überhaupt der einzige Volksentscheid, der in einem Bundesland durchgeführt wurde. Besonders war an dieser Abstimmung zudem der Nachweis, dass Landesregierungen durchaus in einem Bündnis einen Volksentscheid abwehren können.
Eine weitere Berliner Besonderheit im bundesweiten Vergleich war im vergangenen Jahr überdies die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts, auch solche Volksbegehren zuzulassen, die massiv den Haushalt betreffen. »Ein Meilenstein« für die direkte Demokratie sei diese Gerichtsentscheidung gewesen, meinte Michael Efler. Denn bei den direktdemokratischen Instrumenten stellen die Volksbegehren zu Finanzen bisher das größte Problem dar. Weil Länderregierungen oftmals das Vorurteil hegen würden, dass Bürger nicht umsichtig mit Finanzen umgehen können. Das Berliner Kita-Volksbegehren, um das es bei der Gerichtsentscheidung ging, sei da ein gutes Gegenbeispiel gewesen, sagte Efler. Unmittelbar nach der Gerichtsentscheidung kam es zu Verhandlungen und einer Einigung zwischen Senat und Initiatoren, die eine landesweite Abstimmung überflüssig machten.
Der Jahresbericht von Mehr Demokratie geht aber bei der Analyse weit über Berlin hinaus und bezieht das gesamte Bundesgebiet mit ein. Demnach sind in der Hälfte der Bundesländer die Hürden für direktdemokratische Instrumente weiter so hoch, dass es kaum eine Chance auf einen Erfolg gibt, kritisierte Efler. Der Verein Mehr Demokratie setzt sich deshalb weiter für akzeptable Einstiegshürden für Volksbegehren, eine maximale Themenfreiheit und die Abschaffung von Quoren bei Volksentscheiden ein. Ziel sei es, die direkte Demokratie der repräsentativen gleichrangig zu stellen. Über die Länderebene hinaus sieht es dafür zur Zeit allerdings düster aus: »Auf Bundesebene gab es im Wahljahr 2009 leider keine ernsthaften Debatten um die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden«, stellt Mehr Demokratie mit Bedauern in seinem Jahresbericht fest.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.