Verbraucherschutz in der EU soll flexibel bleiben

Parlament und Mitgliedstaaten gegen Kommissionsvorschlag

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Unterschiedliche Vorstellungen über den besten Verbraucherschutz spalten derzeit die EU. Parlament und Rat scheinen mehrheitlich dagegen zu sein, Verbraucherrechte überall in Europa gleich zu gestalten. Das wäre nicht im Sinne der Bürger, so ihre Argumentation.

Man stelle sich vor: Frau Schmidt bestellt bei ihrem Buchhändler vor Ort telefonisch einen Roman. Bevor der Händler den Auftrag annehmen darf, muss er Frau Schmidt erst noch darüber informieren wie das Buch aussieht, wie teuer es ist, welche Adresse der Buchladen hat. Alles schriftlich. Aber wie soll das gehen am Telefon?

»Da ist einiges unausgegoren, was die Kommission vorschlägt.« Evelyne Gebhardt, SPD-Europaabgeordnete, zählt noch eine Reihe ähnlicher Beispiele auf, die für den normalen Menschen absurd klingen. Alle könnten Wirklichkeit werden. Dann nämlich, wenn das EU-Parlament und der EU-Rat die Vorschläge aus der EU-Kommission zur Neuregelung zentraler Verbraucherrechte genau so übernehmen würden, wie es viele Kommissionsbeamte in monatelanger Fleißarbeit zusammengestellt haben.

Doch nicht nur Gebhardt und ihre sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament sind dagegen. Auch die Grünen und die Linken, Teile der Christdemokraten und der Liberalen. Stein des Anstoßes ist neben vielen Details der grundsätzliche Ansatz. Die EU-Kommission möchte überall in Europa die Verbraucherrechte einheitlich regeln. Egal ob in Spanien, Irland, Rumänien oder Deutschland, alles immer gleich. Maximalharmonisierung heißt das im EU-Sprachgebrauch. Doch was sich eigentlich gut anhört, erfreut viele EU-Abgeordnete gar nicht. »In Zeiten, in denen ständig neue Produkte auf den Markt kommen, die neue Herausforderungen an den Benutzer stellen, muss man flexibel mit dem Verbraucherrecht bleiben«, sagt Gebhardt. Bei einer Maximalharmonisierung sei dies nicht möglich. Einzelne Staaten zum Beispiel könnten nicht im Alleingang dieses oder jenes regeln, wenn sie Bedarf sehen. Sondern sie müssten immer den Weg über die EU gehen und auf die Zustimmung der anderen Mitgliedsstaaten hoffen.

Auch der EU-Rat, also die Vertreter der Regierungen der EU-Staaten, sind gegen den Ansatz der EU-Kommission. Schweden hatte während seiner Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2009 immerhin einen Kompromiss vorgeschlagen: Maximalharmonisierung Ja. Aber mit höchstmöglichem Standard. Denn das ist ein weiterer Kritikpunkt an den Kommissionsvorschlägen. Das Niveau, auf dem die betroffenen Verbraucherrechte bei Haustürgeschäften, beim Widerruf, bei Garantien und ähnlichem festgezurrt werden sollen, ist niedrig. In Deutschland würde der Verbraucher viele Vorzüge verlieren, die er heute hat.

Als ihre Lösung sieht Gebhardt einen anderen Kompromiss: Gleiche Regeln nur dort, wo es Sinn macht. Zum Beispiel bei Formularen oder Definitionen. »Damit man zum Beispiel weiß, dass »eine Woche Rückgabegarantie überall in der EU das gleiche meint«, führt die SPD-Politikerin einen Fall an. Heute müsse man oft rätseln: Handelt es sich um eine Kalenderwoche, um sieben Werktage, oder um vielleicht noch etwas anderes?

Eine solche gezielte Vollharmonisierung nennt Andreas Schwab den »Königsweg«, den es bei der weiteren Arbeit an der Richtlinie für Verbraucherrechte zu beschreiten gelte. Der CDU-Politiker sitzt wie Gebhardt im Parlamentsausschuss Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Schwab ist dort der sogenannte Berichterstatter zu dem Kommissionsvorschlag. Mehr als bei Gebhardt spürt man in seinen Äußerungen das Abwägen zwischen dem Schutz der Verbraucher und den Interessen der Wirtschaft. Gerade sie würde davon profitieren, wenn überall in der EU die Verbraucherrechte gleich – niedrig – wären. Gleiche Regeln überall brächten »besonders für kleine Unternehmen auch neue Marktchancen«, sagte Schwab denn auch vor wenigen Tagen, als in »seinem« Ausschuss eine Anhörung von Vertretern nationaler Parlamente zu den Vorschlägen der EU-Kommission stattfand. Ergebnis: Auch in den einzelnen Ländern gibt es keinen Wunsch nach Vollharmonisierung. »Den Mitgliedsstaaten müssen Regelungsspielräume für gesetzgeberische Maßnahmen bei spezifischen verbraucherpolitischen Problemen erhalten bleiben«, betonte bei dem Hearing die LINKE-Politikerin und Brandenburger Verbraucherschutzministerin Anita Tack, die als Vertreterin des Deutschen Bundesrates an der Erörterung teilnahm.


Der Fahrplan

Die EU-Kommission hatte den Vorschlag für eine Richtlinie zu Verbraucherrechten bereits im Oktober 2008 vorgestellt. Er fasst vor allem die vier bereits bestehende Richtlinien in einer überarbeiteten Form zusammen. Seitdem wartet der Vorschlag auf die Bearbeitung im zuständigen Ausschuss des Europaparlaments. Sollten die Arbeiten dort tatsächlich wie geplant im Frühjahr beginnen, könnte es im kommenden November zu einer ersten Lesung im Plenum des Parlaments kommen. Von einer schnellen Verabschiedung ist jedoch nicht auszugehen: Es ist möglich, dass Parlament und Rat die Europäische Kommission dazu auffordern, einen ganz neuen Richtlinienvorschlag zu erarbeiten. (kw)

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