Der schwierige Weg zum Frieden

Vor 70 Jahren – Waffenruhe an der sowjetisch-finnischen Front

  • Manfred Menger
  • Lesedauer: 6 Min.
Vertragsunterzeichnung am 2. Dezember 1939 mit Woroschilow, Stalin, Molotow und Kuusinen (v.l.n.r.)
Vertragsunterzeichnung am 2. Dezember 1939 mit Woroschilow, Stalin, Molotow und Kuusinen (v.l.n.r.)

In der Nacht zum 13. März 1940 wurde im Kreml nach 105 Tagen erbitterter Kämpfe ein Friedensvertrag mit Finnland unterzeichnet. Die Bedingungen waren hart wie der Krieg. Proteste gegen das Friedensdiktat wies W. M. Molotow mit der Bemerkung zurück: »Wäre Finnland im Herbst auf unsere Vorschläge eingegangen, so wären die Bedingungen viel günstiger gewesen. Aber der Krieg und das Blut, das vergossen worden ist, fordern mehr. Das ist nicht zu ändern.«

Tatsächlich hatte die finnische Regierung bei den im Herbst 1939 auf Verlangen Moskaus geführten Verhandlungen über die Sicherung des strategischen Vorfeldes Leningrads den Ernst der Lage unterschätzt. Trotz der Warnungen ihres Unterhändlers, J. K. Paasikivi, der eine Einigung für möglich und unumgänglich hielt, beschränkten sich die finnischen Zugeständnisse im Wesentlichen auf die Billigung einer bescheidenen Grenzrevision auf der Karelischen Landenge. Der sowjetische Vorschlag eines Gebietsaustausches war überhaupt nicht ernsthaft erwogen und Moskaus Forderung nach einem Flottenstützpunkt auf der Halbinsel Hanko entschieden zurückgewiesen worden. Nach acht gescheiterten Beratungsrunden hatte Stalin schließlich im November die Weichen auf Krieg gestellt.

Am 1. Dezember, einen Tag nach den ohne Kriegserklärung eröffneten Kampfhandlungen, wurde in Helsinki ein neues Kabinett ernannt mit R. Ryti als Ministerpräsidenten und V. Tanner, dem Führer der Sozialdemokratie, als Außenminister. Die Regierung bemühte sich mit Hilfe Schwedens und der USA sowie über Rundfunkappelle sofort um neue Verhandlungskontakte mit der Sowjetunion. Für den Kreml stand eine Verhandlungslösung mit der angeblich »mit unbekanntem Ziel« aus Helsinki geflohenen »sogenannten finnischen Regierung« zunächst aber außer Betracht. Die »finnische Frage« sollte nun in kürzester Frist militärisch entschieden und politisch mit einem finnischen Partner eigener Wahl geregelt werden. Der Auserwählte, der, selbst unter Druck gesetzt, die Rolle des Wunschpartners zu übernehmen hatte, war O. V. Kuusinen, Sekretär der Komintern und einer der Führer der Roten im finnischen Bürgerkrieg des Jahres 1918.

Fast zeitgleich mit dem Beginn des Überfalls wurde die Welt, wenige Tage später offiziell auch der Völkerbundsrat, davon in Kenntnis gesetzt, dass sich unter Kuusinen im Grenzort Terijoki eine »Volksregierung der Demokratischen Republik Finnland« etabliert habe. Auf Ersuchen dieser »wirklichen Vertreter des finnischen Volkes« habe sich die Sowjetregierung zu umgehender militärischer Hilfe bereit erklärt, um »Finnland aus einem Hort sowjetfeindlicher Kriegsprovokationen« zu einem »Bollwerk des Friedens« zu machen. Die Rote Armee kam demnach, wie es in der Prawda hieß, auf »Ersuchen der Volksregierung« nach Finnland »nicht als Eroberer, sondern als Befreier des finnischen Volkes«. Ein von Molotow und Kuusinen unterzeichneter Freundschafts- und Beistandsvertrag, dessen Ratifizierungsurkunden in »möglichst kurzer Frist« in der finnischen Hauptstadt ausgetauscht werden sollten, erfüllte alle sowjetischen Gebietsansprüche und übergab Finnland im Gegenzug weite Teile Sowjetkareliens.

Stalin charakterisierte diese Inszenierung in einer Rede vor hohen Militärs am 17. April 1940 als Druckmittel, das den finnschen Bourgeois verdeutlichen sollte: »Entweder ihr macht Zugeständnisse oder ihr bekommt die Regierung Kuusinen, die euch tüchtig auseinandernehmen wird.« Angesichts der Zurückweisung aller finnischen Verhandlungs- und ausländischen Vermittlungsangebote konnten die Finnen aber kaum daran zweifeln, dass die Sowjetführung genau das erreichen wollte, was sie vor aller Welt zu erkennen gegeben hatte – einen politischen Umsturz in Helsinki.

Die finnische Antwort auf diese Herausforderung fiel eindeutig aus. Trotz offener Wunden aus der Zeit des Bürgerkrieges handelte die Nation in bemerkenswerter Geschlossenheit. Die Kriegslage entwickelte sich für Finnland günstiger als befürchtet und für die UdSSR viel schlechter als erwartet. Das Ziel, den finnischen Widerstand in kürzester Frist zu brechen und Helsinki innerhalb von zwei Wochen zu erobern, erwies sich trotz erheblicher numerischer (300 000 gegen 450 000) und materieller Überlegenheit der Roten Armee als illusorisch. Die Finnen hielten auf der Karelischen Landenge ihre Hauptverteidigungslinien. Auch an den übrigen Fronten versackte die sowjetische Offensive. Von manch anderen Problemen abgesehen, rächte sich in dem unter extremen Witterungsverhältnissen geführten Krieg nicht zuletzt auch Stalins »Enthauptung« der Roten Armee.

Ende Januar 1940, nach vorangegangenen völlig unorthodoxen Vermittlungsbemühungen zweier couragierter Frauen, der finnischen Schriftstellerin H. Wuolijoki und der sowjetischen Gesandtin in Schweden, A. Kollontai, signalisierte Molotow dem finnischen Außenminister die prinzipielle Bereitschaft der Sowjetregierung, mit der Regierung Ryti-Tanner zu verhandeln. Von der Kuusinen-Regierung war fortan kaum noch die Rede.

Über die Motive dieses Kurswechsels herrscht heute zwischen finnischen und russischen Historikern weitgehende Übereinstimmung. Der Finnlandfeldzug war nicht wie erhofft verlaufen und zu einem schwerwiegenden Risikofaktor geworden. Er zehrte an den sowjetischen Ressourcen, hatte die Sowjetunion international weitgehend isoliert, war im eigenen Land unpopulär und band einen erheblichen Teil ihres Militärpotenzials. Besonders alarmierend waren die seit Dezember in erster Line auf die Kontrolle der norwegischen Küste und Unterbindung der skandinavischen Erzlieferungen an Deutschland gerichteten, aber ganz unter dem Motto der »Finnlandhilfe« laufenden Vorbereitungen einer anglo-französischen militärischen Intervention in Nordeuropa. Mit der Finnland in Aussicht gestellten Truppenhilfe drohte der UdSSR die Verwicklung in einen militärischen Konflikt mit den Westmächten. Sie hatte also allen Anlass, den Krieg mit Finnland zu beenden, ehe das alliierte Expeditionskorps auf dem Plan erschien.

Zur gleichen Zeit, als Verhandlungen möglich wurden und dank schwedischer Vermittlung zwischen Moskau und Helsinki erste Kontakte zustandekamen, verschlechterte sich die militärische Lage Finnlands dramatisch. Anfang Februar begann die Rote Armee nach gründlicher Vorbereitung einen neuen, nun besser geführten Großangriff. Dabei kamen 960 000 Rotarmisten sowie 11 000 Geschütze und 3000 Panzer zum Einsatz. Einen Monat später stand eine Vorhut der Roten Armee westlich von Wiborg. Obwohl die Hilfsangebote der Westmächte ins Uferlose stiegen, ja geradezu zu Hilfsdrohungen wurden, blieb für die Finnen nach Lage der Dinge der Gang nach Moskau der einzig reale Weg zur Vermeidung einer noch größeren Katastrophe.

Die UdSSR forderte und erhielt durch den Moskauer Frieden die Grenze Peter des Großen. Finnland musste etwa zwölf Prozent seines Territoriums aufgeben: die gesamte Karelische Landenge mit Wiborg, das West- und Nordufer des Ladoga, Inseln im Finnischen Meerbusen, Teile von Kuusamo und Salla sowie ein Gebiet am Eismeer. Hanko wurde Stützpunkt der Sowjetflotte. Trotz der Verbesserung ihrer militärstrategischen Position hatten der Krieg und seine Folgerungen auch für die Sowjetunion einige sehr problematische Konsequenzen. Sie blieb als Aggressor diskreditiert. Unter den Finnen förderten der Krieg und die ihm folgende Politik der UdSSR gegenüber Finnland und dem Baltikum das Gefühl der Unsicherheit, aber auch revanchistische Absichten. Das erleichterte es Hitler, Finnland 1941 als »Waffenbruder« zu gewinnen. Bezeichnenderweise hatte Göring am 28. Februar 1940 Helsinki dringend geraten, unter allen Umständen Frieden zu schließen. Finnland bekäme nach dem deutschen Sieg alles zurück, sogar mit Zinsen. Nicht zuletzt bestärkten die während des Finnlandkrieges zutagegetretenen Mängel in der Kampfführung der Roten Armee die faschistische Generalität in der Auffassung, die »russischen Massen« seien für eine Armee mit moderner Ausrüstung und sachkundiger Führung kein unüberwindbarer Gegner.

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