Blutspur in Köpenick und Adlershof
Wie Berliner Arbeiter vor 90 Jahren den Kapp-Putschisten entgegentraten – ihr Leben riskierend
Am 13. März 1920 erschien der sozialdemokratische »Vorwärts« mit dem Aufmacher »Die Republik ist in Gefahr«. Zu dieser Zeit stand Kapitän Ehrhardt mit seiner Marinebrigade unter den Farben der kaiserlichen Reichskriegsflagge bereits am Brandenburger Tor in Berlin. Die Regierung war geflohen. General v. Seeckt weigerte sich, regierungstreue Truppenteile der Reichswehr gegen die Putschisten einzusetzen. »Truppe schießt nicht auf Truppe«, soll seine Entschuldigung gewesen sein. Die Putschisten unter Führung von Kapp und dem ehemaligen Reichswehrgeneral von Lüttwitz übernahmen die Macht (vgl. ND v. 13./14. März, »Der Marsch auf Berlin« von Erwin Könnemann).
Die rechtmäßige Regierung und die SPD riefen zum Generalstreik auf . Die Gewerkschaften schlossen sich noch am 13. März diesem Aufruf an. Auch die KPD rang sich nach kurzem Zögern durch, die ungeliebte Republik zu verteidigen. In diesen politisch wirren Tagen wurde in Köpenick der Ruf nach einer militärischen Verteidigung der Republik immer lauter.
Schließlich wurde am 16. März im Lokal Fuchs, Alter Markt 3, das »Sozialistische Verteidigungskomitee« gegründet. Vorsitzender wurde der Stadtverordnete Alexander Futran (42), Ingenieur, (USPD). Miltärischer Führer war der Stadtverordnete Alfred Rebe (KPD). Der Wirkungsbereich des Komitees reichte weit über Köpenick hinaus. Ungefähr 1000 Kämpfer umfasste Futrans Streitmacht. Die Zugänge zur Stadt wurden verbarrikadiert und der Schutz der städtischen Lebensmittellager gewährleistet. Als aus Adlershof die Nachricht kam, dass sich Putschisten im Großtanklager an der Köpenicker Straße/ Teltower Kanal verschanzt hatten, eilten ihnen Köpenicker, Grünauer und Bohnsdorfer Kämpfer zu Hilfe. Bei diesem Gefecht kam der Grünauer Arbeiter Paul Seelisch (37) ums Leben.
Am 21. März, nach dem Zusammenbruch des Putsches, marschierte das Potsdamer Jägerbataillon kampflos in Köpenick ein. Wie die Putschisten trugen sie das Hakenkreuz am Stahlhelm. Die Putschisten von gestern nahmen nun, unter dem Deckmantel des von der Regierung verkündeten großen Belagerungszustandes, Rache für die erlittene Niederlage. Sie behielten sogar die vom Putschistengeneral von Lüttwitz zugebilligte Kappzulage zum Wehrsold von sieben Mark pro Tag. Das durch Zeitfreiwillige verstärkte Bataillon etablierte in der Gaststätte »Zu den drei Linden« Grünauer/Ecke Schönerlinder Str. ein Standgericht unter Kapitänleutnant v. Bebell.
In den Morgenstunden des 21. März wurde Futran ins Rathaus befohlen. Im Bewusstsein seines verfassungsgemäßen Handelns ging er hin. Rebe, der als Teilnehmer des Kieler Matrosenaufstandes zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, machte sich keine Illussionen über die kommenden Ereignisse. Er flüchtete. (Ihn sollte später das bittere Schicksal vieler deutscher Kommunisten im sowjetischen Exil ereilen. Am 19. Februar 1938 wurde er als verantwortlicher Sekretär der Redaktion der Zeitung »Rote Fahne« in der Grusinischen SSR verhaftet. Die Gerichtsentscheidung vom 9. Oktober 1938 wurde am 23. März 1963 aufgehoben. Wann und unter welchen Umständen er ums Leben kam, ist ungewiss. Futran hatte als Jude und Sozialist vor dem Standgericht keine Chance. Leutnant Kubich war es, der auf dem Hof der damaligen Niederlassung der Bötzow-Brauerei in der Grünauer Str. 74 (heute 21) die Erschießung Futrans kommandierte. Vorher waren bereits standrechtlich erschossen: Willy Dürre (19), Karl Wienicke (17), Fritz Kegel (24) und Karl Gratzke (41).
Noch blutiger verliefen die Ereignisse in Adlershof. Bei der Besetzung dieses Bezirks in der Nacht vom 20. zum 21. März richteten die Militärs unter Hauptmann Uhse von der 2. Kraftwagenbatterie, Einheiten des Freikorps Lützow und Zeitfreiwilligen ein Blutbad an.
Bei den Kämpfen zur Abwehr des Putsches gegen die junge Weimarer Republik fielen aus Köpenick Alfred Lawine (24), Maurer, und Alexander Böhme (27), Arbeiter. Standrechtlich erschossen wurden in Adlershof die Köpenicker Otto Gutsche (24), Schlosser, Fritz Purrmann (22), Bäcker und Georg Schütz (35), Bürohilfsarbeiter. Von den Adlershofern fielen: Otto Saeger, (35), Schlosser, und Peter Kujawa (23), Arbeiter. Standrechtlich erschossen wurden die Arbeiter Max Gurth (18), Max Bugiel (19), Karl Nelte (29), Wilhelm Bölke (19), Karl Strube (25), Otto Netzband (28), August Gerber (64) und Friedrich-Paul Mattheka (24). An den Folgen ihrer Verletzungen starben der Adlershofer Otto Müller (36) und der Köpenicker Adolf Schön (20), beide ebenfalls Arbeiter.
Am 25.März rückten die Truppen ab, die erste Blutspur des Hakenkreuzes in Köpenick hinterlassend. Im nahen Friedrichshagen herrschte als Militärbefehlshaber Hauptmann Heinz von Pflugk-Hartung. Bei den dortigen Auseinandersetzungen waren am 20. März die Arbeiter Erich Wieder (35) und Max Karl (29) gefallen.
Der Nationalökonom Emil Gumbel analysierte 1921 in seinem Buch »Zwei Jahre Mord« den Terror in der Zeit von 1919 bis zum 30. März 1921. Hinsichtlich der 13 von linken Kräften verschuldeten Toten verhängte die Weimarer Justiz acht Todesurteile sowie Haftstrafen von 176 Jahren und zehn Monaten. Die 314 Morde von Rechts wurden insgesamt mit 31 Jahren und drei Monaten Haft sowie einer lebenslänglichen Festungsstrafe »gesühnt«. Die Metzeleien der Regierungstruppen im Südosten Berlins wurden nie juristisch geahndet.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.