»Heroen« bis heute
Wanderausstellung auf den Spuren des Deutschen Kolonialismus
Deutscher Kolonialismus erscheint aus heutiger Perspektive wie ein bereits mit dem Ende des 1. Weltkriegs abgeschlossenes Kapitel. Doch dem ist mitnichten so, wie eine Wanderausstellung des Mobilen Museums Neukölln zeigt. Noch im Jahre 1970 entschloss sich etwa eine kommunale Kommission für Straßenumbenennungen, einer bis dato mit einer Nummer bezeichneten Straße den Namen Adolph Woermann zu verleihen. Der war ein Hamburger Reeder, der im 19. Jahrhundert zunächst Palmöl und Kautschuk aus Westafrika einführte. Im Gegenzug lieferte er mit Branntwein, Waffen und Munition genau jene Instrumente an die afrikanischen Gestade, mit denen die dortige Bevölkerung prima betäubt, dezimiert und unterdrückt werden konnte.
Während des Herero-Aufstandes vor gut 100 Jahren wurde die vermeintlich zivile Handelsflotte des Hauses Woermann sogar komplett zum Truppentransporter umgewandelt. Anklänge an das heutige zivile Outsourcing militärischer Aktivitäten bei der US Army im Irak zeigen sich. Namensverleihungen wie diese waren der Anlass für eine Recherche nach Spuren der kolonialen Vergangenheit im Bezirk Neukölln, erzählt Thomas Marheinicke, der an der Ausstellung mitgewirkt hat.
Zweiter prominenter Fall ist der des Hermann von Wissmann. »Deutschlands größter Afrikaner«, als der er in zeitgenössischen Presseveröffentlichungen bejubelt wurde, verdingte sich erst in belgischen Diensten im Kongo und baute danach die erste deutsche »Schutztruppe« auf, die er mit harter Hand zur Aufstandsbekämpfung einsetzte. In der Ausstellung wird die Geschichte dieser beiden einstmaligen »Heroen« aufgearbeitet und in einen zeithistorischen Kontext eingebettet.
So wird auf die Berliner Kongokonferenz Bezug genommen. Sie legte vor exakt 125 Jahren die Grundlagen für die koloniale Aufteilung Afrikas. Reichskanzler Bülow wird mit einer feurigen Kolonialisierungsrede zitiert, in der er vermerkte, dass es nicht darum gehe, ob man kolonisieren wolle, sondern dass ein jedes gesundes Volk seine Kultur selbst in die entlegensten Winkel der Welt transportieren müsse.
Eine andere Argumentationsschiene bedient sich Zeugnissen zur Alltagskultur. Auf Fotografien sind Schaufenster von damaligen Kolonialwarenläden abgebildet, in denen all die Produkte, die aus den Kolonien stammten, vertrieben wurden: Kaffee, Kakao, Zucker, Reis, Tabak, Gewürze und Tee. Gewöhnlich, so meinen die Ausstellungsmacher, wurden die Bedingungen, unter denen diese Güter produziert und transportiert wurden, nicht hinterfragt. Eine recht bizarre Episode widmet sich dem Garnisonfriedhof Columbiadamm. Dort befindet sich seit 1970 (!) ein Gedenkstein, der an die »gefallenen deutschen Helden in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika« erinnert. Bis in die heutige Zeit zelebrieren dort Kameradenverbände eine merkwürdig ungebrochene Erinnerungskultur. Erst seit Oktober letzten Jahres befindet sich zu Füßen dieses Gedenksteines eine steinerne Platte, die den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia einen Platz einräumt.
Die Ausstellung rührt an ein gern verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte. Der besondere Reiz dieses Projekts liegt darin, dass es abstrakte historische Informationen mit lokalem Neuköllner Geschehen verknüpft. Nach der Präsentation im Foyer der St. Christophorus- Kirche in der Nansenstr. 4 sollen die insgesamt 14 Informationstafeln durch Berliner Schulen wandern.
Verdrängte Geschichte. Spuren kolonialer Vergangenheit in Neukölln, noch bis 26. März 2010, St. Christophorus-Kirche, Nansenstr. 4, di.-fr. und so. 12-18 Uhr.
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