Kein Mitgefühl für Flüchtlinge
Dokumentation verdeutlicht staatliche Gewalt gegen Asylbewerber
Die Antirassistische Initiative Berlin hat dieser Tage die 17. Auflage der Dokumentation zu den Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik veröffentlicht. Das recherchierte Material listet seit 1993 über 5000 Einzelschicksale auf und veranschaulicht die Folgen staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus. Viele der Flüchtlinge erlitten körperlichen und seelischen Schaden, statt Schutz und Unterstützung zu erfahren.
Zwei Beispiele aus der Sammlung der Antirassistischen Initiative aus dem Jahr 2009: Als der syrische Flüchtling Abdul-Pazak Al Choli sich am 25. Mai im Remscheider Sozialamt einen Krankenschein abholen wollte, wurde er von vier Behörden-Mitarbeitern festgenommen. In seiner Unterkunft wurde er dann von Polizisten geschlagen. Noch Tage später waren Hämatome am Arm zu sehen. Er kommt ins Abschiebegefängnis nach Büren. Obwohl zuckerkrank, wird ihm tagelang der Zugriff auf Insulin verweigert. Er hat 16 Jahre in Deutschland gelebt und soll nach Syrien abgeschoben werden.
Aufgezeichnet ist auch die Geschichte des Roms Elvis Agusi. Am 26. Mai, mitten in der Nacht, kommen mehrere Einsatzwagen, um ihn abzuschieben. Er darf 20 Kilogramm Gepäck in Plastiktüten verstauen und wird um 0.15 Uhr hinausgeführt. Mittags erfolgt die Abschiebung nach Kosovo. Er wurde von seiner Lebensgefährtin – mit der er nach Roma-Recht verheiratet ist – und seinen beiden Kindern – eineinhalb Jahre und drei Wochen alt – getrennt. Agusi war 1999 als 17-Jähriger auf Grund des Kosovo-Krieges in die BRD geflüchtet. Über Jahre durfte er als Geduldeter keine Ausbildung machen. Schließlich fand er einen Job in einem Lkw-Waschbetrieb, verdiente monatlich 1200 Euro und konnte für den Unterhalt der Familie aufkommen. In Kosovo hat Agusi keine Angehörigen, und Roma sind vom Arbeitsmarkt, vom sozialen und medizinischen System ausgeschlossen. Er war über Monate obdachlos und wurde mehrmals von Albanern zusammengeschlagen.
Die Antirassistische Initiative bilanziert für das Jahr 2009 folgende Zahlen: 27 Flüchtlinge erlitten bei der Einreise Verletzungen, ein Flüchtling tötete sich in Haft. 32 Flüchtlinge verletzten sich selbst oder versuchten sich umzubringen, elf davon befanden sich in Abschiebehaft. Sieben Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Misshandlungen während der Abschiebung verletzt. Bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnahmen wurden mindestens neun Flüchtlinge verletzt, davon acht Personen durch Bewachungspersonal in Haft. Bei Bränden und Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte wurden 24 Menschen zum Teil erheblich verletzt.
Es ist die Umsetzung der Asylgesetze durch staatliche Stellen gegen den Willen der Betroffenen, die Menschen verletzt, so die Initiative. Abschiebung, Grenzüberwachung, das Einfangen der Flüchtlinge durch die Polizei versetze die Menschen in Angst und Schrecken. Der Abschiebeknast, so die Initiative, zwinge Menschen, in den Hungerstreik zu treten, in Panik mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen oder Suizid zu begehen. Beamte schreckten nicht davor zurück, Familien zu trennen, Arbeitsverhältnisse zu kappen und die Menschen in noch ungewissere Umstände abzuschieben. Die Flüchtlinge werden nicht nur von Seiten des Staates unter Druck gesetzt, sondern müssen sich zusätzlich rassistischer Angriffe aus der Bevölkerung erwehren.
Die Angaben zu toten und verletzten Flüchtlingen an den deutschen Grenzen entsprächen vor allem den Informationsquellen der Polizei, erklärt die Initiative, und bezögen sich nur auf die deutsche Seite. Die Gesamtzahl, vermutet die Initiative, sei höher. Die Schicksale der Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern weiterzuverfolgen, gestalte sich schwierig.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums gab es vergangenes Jahr 27 649 Asylanträge. »In 9726 Fällen wurde Asyl gewährt«, weiß Elke Schmidt von der Initiative. »Doch in drei Jahren wird der Asylstatus per Gesetz automatisch überprüft.« Und das bedeutet wieder Unsicherheit und Angst.
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