»In arabischen Hauptstädten ist der Ärger groß«
Mit der Duldung der USA gegenüber Israels Besatzungspolitik verprellt Präsident Obama wichtige Verbündete
ND: Nach dem offenen Schlagabtausch Anfang des Monats hat US-Präsident Barack Obama den Tonfall gegenüber Israel wieder gemäßigt. Bedeutet das bereits das Ende der »Krise« zwischen Washington und Tel Aviv?
Rabbani: Das ist keine echte Krise. Man sollte auf der Ebene der Staaten eher von einem Streit unter Freunden sprechen, die den Nahen Osten aus demselben Blickwinkel betrachten und identische Lösungen für die vorhandenen Probleme anstreben. Sicherlich sind Benjamin Netanjahu und Obama keine persönlichen Freunde, und es stimmt auch, dass die neue US-Administration bei den Problemen einen in Teilen anderen Ansatz gewählt hat als die von George W. Bush. Der Kern der US-amerikanischen Außenpolitik hat sich in dieser Region und in Zentralasien allerdings nicht verändert, seit Obama ins Weiße Haus einzog.
Was die israelische Besiedlung Ost-Jerusalems und des Westjordanlandes anbelangt, existiert also kein wirklicher Gegensatz?
Die USA stellen die Siedlungspolitik nicht in Frage, weil diese Regierung davon ausgeht, dass Israel bei einem Abkommen mit den Palästinensern in jedem Fall die Kontrolle über ganz Jerusalem behalten und die Teile des Westjordanlandes mit den wichtigsten jüdischen Siedlungsblöcken annektieren wird. Die Anfang des Monats ausgebrochene Kontroverse betrifft das Verhalten Netanjahus, der keine Gelegenheit auslässt, um öffentlich zu erklären, dass seine Regierung in jedem Fall tun wird, was sie für richtig hält, ohne sich dabei allzu sehr um ihren weltweit wichtigsten Verbündeten zu kümmern.
Obama ließ im Gegenzug verlauten, dass der von Israel angekündigte Bau von 1600 neuen Wohnungen im Ost-Jerusalemer Stadtteil Ramat Schlomo für jüdische Siedler im Rahmen des Friedensprozesses nicht hilfreich sei. Er sprach aber nicht von einem illegalen Akt oder von einer Verletzung internationaler Resolutionen.
Wie wird Obama heute in der arabischen Welt gesehen?
Nach seiner Kairoer Rede waren viele Araber überzeugt, dass dieser US-amerikanische Präsident dank einer neutraleren Position im israelisch-palästinensischen Konflikt die Karten neu verteilt habe. Diese Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht, und die Enttäuschung darüber ist nicht nur unter den Massen spürbar, sondern auch innerhalb der Führungsetagen der mit den Vereinigten Staaten verbündeten Regimes. Länder wie Jordanien, Saudi-Arabien und Ägypten gingen davon aus, dass die Regierung Obama sich für die bedingungslose Unterstützung der US-Strategie seitens ihrer Länder sowie die Zustimmung zum Irak-Krieg erkenntlich zeigen würde, und zwar in Form konkreter Verhandlungsergebnisse in der Palästina-Frage. Sie erwarteten eine politische Entschädigung der USA, um damit innenpolitisch der weit verbreiteten Unzufriedenheit ihrer Bevölkerungen über die Situation der Palästinenser unter der israelischen Besatzung etwas entgegenhalten zu können. Zwar stehen die Bündnisse zwischen den USA und verschiedenen arabischen Regimes nicht zur Diskussion, aber in diversen Hauptstädten der Region ist der Ärger groß.
Der Präsident der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, versucht, die Polemik zwischen Israel und USA zu nutzen, um Zustimmung zu gewinnen. Wird ihm das gelingen?
Ich fürchte, dass die kommenden Wochen Abu Mazens (Kampfname von Abbas – d. Red.) Schwäche und seinen Mangel an Glaubwürdigkeit bestätigen werden. Wenn sich die Wolken verzogen haben, die die Beziehungen zwischen Tel Aviv und Washington gegenwärtig trüben, werden die USA Abbas zwingen, ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zurückzukehren. In den Augen der Palästinenser wird das die Haltlosigkeit der Linie der Autonomiebehörde und ihres Präsidenten bestätigen, denn der hat schon häufig scheinbar standhaft Position bezogen, um dann unversehens den Rückwärtsgang einzulegen.
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