Gerechtigkeit nach 66 Jahren
Lange musste Teun de Groot warten – jetzt erhielt der SS-Mörder seines Vaters lebenslänglich
Die SS ging 1944 in ganz West- und Nordeuropa dazu über, Aktionen der Widerstandsbewegungen
durch geheime Mordaktionen zu beantworten. Bei dem Fahrradhändler Teun de Groot in Voorschoten klingelten am 3. September 1944 frühmorgens Heinrich Boere und ein zweiter niederländischer SS-Mann. Sie gaben sich als Polizisten aus. De Groot war ein angesehener Bürger und gegen die Besatzung seines Landes durch die Nazis. Das reichte für ein Todesurteil. Sie ließen sich den Ausweis zeigen, dann erschossen sie ihn. Er hinterließ eine Familie mit fünf Kindern. Die Mordtat traumatisiert die Angehörigen bis heute.
»Ich habe 24 Stunden geweint, danach nie mehr. Fast nie mehr, mein ganzes Leben nicht. Ich habe so geweint«, erinnert sich der Sohn Teun de Groot, der 1944 erst elf Jahre alt war und der in Aachen als Nebenkläger auftritt. Für Teun de Groot ist heute ein wichtiger Tag. Er ist mit anderen Angehörigen der Opfer zur Urteilsverkündung nach Aachen gekommen. De Groot hat lange auf diesen Tag warten müssen, obwohl der Mörder seines Vaters seit über 50 Jahren nur ein paar Kilometer von der holländischen Grenze entfernt in Eschweiler wohnte.
Boere gehört zu der Gruppe der 30 000 Niederländer, die für Deutschland in der SS kämpften oder sich als Angehörige der niederländischen Nazipartei NSB aktiv an der brutalen Zerschlagung des niederländischen Widerstandes und an den Deportationen von Juden beteiligten. Auch Heinrich Boere wurde als Täter erkannt und angeklagt. Aber noch vor dem Urteil tauchte Boere unter und flüchtete über die Grenze. In Abwesenheit wurde er 1949 zum Tode verurteilt und später zu lebenslanger Haft begnadigt.
Boere brauchte bis zum Prozessbeginn im Jahre 2009 in Deutschland keine Strafverfolgung zu fürchten. Die Auslieferung an die Niederlande wurde mit dem Hinweis auf seine deutsche Staatsangehörigkeit, die er mit seiner SS-Zugehörigkeit automatisch erworben hatte, zurückgewiesen. Ein Ermittlungsverfahren wurde 1984 von einem Dortmunder Staatsanwalt mit der Begründung eingestellt, die Erschießung von unbeteiligten und wehrlosen Zivilisten als Reaktion auf Widerstandsaktionen wären »völkerrechtlich legitimierte Kriegsrepressalien«.
Diese skandalöse juristische Bewertung hätte bis zum heutigen Tag Bestand gehabt, hätte das neue EU-Recht 2003 nicht die Möglichkeit eröffnet, einheimische Urteile auch im EU-Gebiet zu vollstrecken. Das niederländische Justizministerium erinnerte sich an seine im deutschen Exil lebenden NS-Täter und beantragte die Strafvollstreckung in Deutschland. Plötzlich agierte die deutsche Justiz in Sachen Boere wieder: Um eine durch die Niederlande nach EU-Recht erzwungene Strafvollstreckung zur vermeiden, bestand sie auf dem Recht, die NS-Täter in eigener Regie zu verfolgen und entdeckte urplötzlich die für ein Ermittlungsverfahren nötigen Mordmerkmale der Tat.
Wieder sieben Jahre später begann dann der Prozess gegen Boere. Die neue Geschäftigkeit der deutschen Justiz in Sachen NS-Täter ließ mit Blick auf die internationale Öffentlichkeit Heinrich Boere trotz angeblichen Befehlsnotstands keine Chance. Heinrich Boere wurde nach 66 Jahren deutscher Strafvereitelung zu lebenslanger Haft verurteilt. Teun de Groot kommentierte den ersehnten Urteilsspruch mit den Worten: »Ich wünsche Boere nach diesem Urteil ein langes Leben.«
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