Vom »Pesthaus« zum Uni-Klinikum
Neue Sonderausstellung im Historischen Museum der Charité über 300 Jahre Medizin in Berlin
Die Keimzelle der Charité bildete sich bereits vor 300 Jahren. Damals war Berlin von einer Pestwelle aus Osteuropa bedroht. Um sich auf die Seuche vorzubereiten, wurde eine Quarantänestation vor den Toren der Stadt eingerichtet. Doch die aufstrebende Metropole blieb von der tödlichen Krankheit verschont. Das »Pesthaus« wurde daraufhin zum Hospital umfunktioniert, in dem 1727 erstmals Kranke, damals fast ausschließlich aus den ärmsten Bevölkerungsschichten, behandelt wurden. In den folgenden 280 Jahren entwickelte sich die Charité in ihrer nicht immer ruhmreichen Geschichte zu einer der bedeutendsten Universitätskliniken Europas.
Dieses Jahr fallen das Berliner Wissenschaftsjahr und das 300. Jubiläum des Klinikums zusammen. Anlass genug, um an die Historie der Charité zu erinnern. Am gestrigen Donnerstag wurde im Medizinhistorischen Museum des Klinikums eine Sonderausstellung eröffnet, die sich mit der Geschichte von »300 Jahren Medizin in Berlin« beschäftigt.
Im ersten Raum symbolisieren vier enge »Häuser« aus Pappe die Charité in ihrer jeweiligen Epoche. Die Seuchen und Krankheiten, die in der damaligen Zeit häufig vorkamen, haben auch die Charité geprägt. Eine dunkle Pestbeule auf einer Hand symbolisiert die weit verbreitete Krankheit im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, die von Nagetieren übertragen wurde und ganze Landstriche ausrottete. Präparate zeigen Lungenkrankheiten, unter denen viele Menschen im 18. Jahrhundert litten. Um dieser Leiden Herr zu werden, haben sich die Behandlungsmethoden im Laufe der Zeit maßgeblich verändert. Ein Aderlassschnepper macht deutlich, wie Ärzte vor 300 Jahren vorgingen. Durch die Blutentnahme sollten kranke Säfte aus dem Körper entfernt und der Heilungsprozess eingeläutet werden.
»Viele körperliche Gebrechen haben auch historische Konnotationen«, erklärt Isabel Atzl, Geschichtswissenschaftlerin und Kuratorin der Ausstellung. Dazu gehören die Folgen von Unfällen, die im Zuge der Industrialisierung in Preußen ab 1800 zunahmen. Ausgestellt sind gebrochene Knochen und ein antikes Hörrohr. Denn durch den Lärm an ihren Arbeitsplätzen wurden viele Arbeiter gehörgeschädigt.
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Im zweiten Raum erfährt der Besucher aktuelle Fakten über das Klinikum. Im Zentrum stehen Forschung und Lehre am Universitätsklinikum sowie die Versorgung der Patienten. »Die Charité ist immer weiter gewachsen. Heute werden hier ungefähr 14 500 Mitarbeiter beschäftigt und etwa 130 000 Patienten jährlich stationär behandelt«, sagt Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums. Auch die Drittmittelbilanz kann sich sehen lassen. Die Charité streicht dadurch jährlich zirka 130 Millionen Euro ein.
Zur Bedeutung des Klinikums haben in den vergangenen Jahrhunderten zahlreiche prominente Wissenschaftler beigetragen. Über eine Auswahl von ihnen informieren Kurzporträts. Nicht fehlen darf dabei natürlich Rudolf Virchow, der 1855 erkannte, dass der menschliche Körper ein »Zellenstaat« ist. Neben der Medizin war er auch politisch aktiv. Als Stadt-, Landtags- und Reichstagsabgeordneter setzte sich Virchow für die Stadthygiene und den Schul- und Krankenhausausbau ein. Auch der Pionier des Fiebermessens im 19. Jahrhundert Ludwig Traube und Franziska Tiburtius, die in Zürich Medizin studierte und eine der ersten Frauen war, die in Preußen um 1900 als Ärztin praktizierte, werden vorgestellt.
Nicht nur Freunde der Medizingeschichte werden in der Ausstellung auf ihre Kosten kommen. Denn der Exposition gelingt es, die Geschichte der Charité in Zusammenhang mit der Entwicklung Berlins einerseits als Stadt und andererseits als medizinischen Kosmos zu bringen.
Sonderausstellung bis Ende Februar 2011, Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1, Internet: www.bmm.charite.de
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