Mith Samlanh fängt Straßenkinder auf

Drogen, Aids und Obdachlosigkeit: Kambodschanische Organisation hilft an der Basis

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Robert Luchs, Phnom Penh

Der 14-Jährige hat nichts von seiner auf der Straße erworbenen Dreistigkeit eingebüßt. »Give me five Dollar«, raunt er mir zu, als ich mit Dr. Thim Sotheara das »Grüne Haus« aufsuche. In dem Haus am Rande der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh – mit einfachsten Mitteln eingerichtet – werden drogenabhängige Jugendliche behandelt. Zur Zeit sind dort nur ein Mädchen und zehn junge Männer im Alter zwischen 18 und 23 Jahren untergebracht.

Die meisten haben ihre Drogenkarriere mit »glue« begonnen. Kleber und Lösungsmittel sind unter Straßenkindern nach wie vor beliebt, zumal sie leicht zu beschaffen sind. Sie gehören jedoch zu den gefährlichen Drogen, bedeuten sie doch oft den Einstieg in tödliche, wie Heroin. Die kambodschanische Organisation Mith Samlanh (Freunde) sorgt sich seit 1994 um die Verbesserung der Lebensbedingungen zumeist obdachloser Kinder und Jugendlicher. Sie hat auch das »Grüne Haus« und eine weitere Beratungsstelle für drogenabhängige Straßenkinder eingerichtet.

Die Dauer der Behandlung hänge von der konsumierten Droge ab, erläutert Dr. Thim. Nach einer mehrwöchigen Entziehungskur beginne die Rehabilitation. Dazu gehöre, mit entsprechender psychologischer Betreuung, das Nachdenken über die eigene Situation und die Zukunft. Die Frage, ob die Jugendlichen danach »sauber« sind und bleiben, sei schwer zu beantworten. Die größten Chancen hätten diejenigen, die einen Beruf erlernten, ihn ausübten und für den eigenen Lebensunterhalt sorgen könnten.

Die Deutsche Welthungerhilfe arbeitet seit fünf Jahren mit Mith Samlanh zusammen. Die Organisation genießt sowohl bei internationalen Gebern als auch bei den Behörden Kambodschas einen sehr guten Ruf.

Sebastien Marot, Koordinator bei Mith Samlanh, schätzt, dass es in Phnom Penh bis zu 20 000 Straßenkinder gibt. Über 300 000 weitere Kinder und Jugendliche hausen in den Slums, die sich über das gesamte Gebiet der Hauptstadt verteilen. Ohne Unterstützung ihrer bitterarmen Eltern sind die Jugendlichen der sexuellen Ausbeutung und Abhängigkeit von Drogenhändlern ausgeliefert. Die Zahl der Aids-Waisen in Kambodscha wird inzwischen auf mindestens 340 000 geschätzt.

Als Folge des Massenmords unter der Schreckensherrschaft Pol Pots von 1975 bis 1979 und des anschließenden Bürgerkriegs wurden Familien zerrissen, Waisen konnten nicht mehr auf traditionelle Strukturen der in Kambodscha vorherrschenden Großfamilien zurückgreifen. Auch die traditionellen buddhistischen Strukturen wurden damals zerstört, weshalb die Klöster nicht mehr wie in der Vergangenheit Ersatz für die Familien bieten konnten.

Experten schätzen, dass fast drei Viertel der Jugendlichen den Drogen verfallen sind. Der deutsche Drogenexperte Martin Lutterjohann sieht es so: »Die von offizieller Seite angegebene Zahl von rund 6000 Drogenkonsumenten sollte man mindestens mit zehn multiplizieren.« Dennoch sei Bewegung in die Drogenarbeit gekommen, meint Lutterjohann. Immerhin gebe es inzwischen elf staatliche Therapiezentren in sieben der 24 Provinzen.

Der Fachmann erläutert das System von Mith Samlanh: Ein Bus fährt an die Brennpunkte, die Insassen nehmen Kontakt zu den Konsumenten auf. Es gibt eine Anlaufstelle für Beratung, Betreuung und den Austausch von Spritzen sowie eine Schlafstelle für Straßenkinder und ein kleines Therapiezentrum für Entgiftung und Kurzzeittherapie, das »Grüne Haus« eben. Lutterjohann: »Die größte Leistung wird meiner Meinung nach jedoch durch Schulunterricht und handwerkliche Ausbildung in insgesamt neun Berufen erbracht.« Begleitet wird diese Ausbildung von Kursen in Konfliktmanagement und Betriebswirtschaft. Die Ausbildung ist praktisch ausgerichtet und orientiert sich an der Tatsache, dass die meisten Kinder und Jugendlichen über geringe schulische Bildung verfügen.

Um das Interesse der Straßenkinder am Training längerfristig zu erhalten, werden sie von den Sozialarbeitern und Lehrern aktiv an den Programmen beteiligt. Mith Samlanh stellt als Partnerorganisation der Welthungerhilfe während der Ausbildung eine Unterkunft in einem Übergangsheim zur Verfügung. Zudem werden die Jugendlichen bei der Arbeitssuche in Phnom Penh oder beim Aufbau eigener Unternehmen unterstützt. Ziel ist es, die Vermittlungsquote um 25 Prozent zu steigern.

Mith Samlanh ist außer in der Hauptstadt auch in drei Distrikten der Provinz Kompong Cham tätig. In einem Jugendzentrum werden ebenfalls Ausbildung und Freizeitaktivitäten angeboten. Die Straßenkinder erhalten dort Schreib-, Lese- und Rechenunterricht, aber auch Anregungen zu sportlichen Aktivitäten, um Alternativen zum gefährlichen Leben auf der Straße aufzuzeigen. Mehrmals im Monat finden sogenannte Gemeindesitzungen statt, auf denen Polizei, Mönche, Lehrer, Dorfälteste über die Arbeit mit den Jugendlichen informiert werden. Das soll den Zusammenhalt festigen und dient letztlich den Straßenkindern. Außerdem werden die Familien dabei unterstützt, ihr Einkommen aufzubessern und interne Probleme zu lösen. Die Arbeit dient auch dazu, lokale Netzwerke, wie Krankenhäuser, Gesundheitszentren und Schulen, besser bekannt zu machen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.