Die Entschuldigung blieb aus
Jupp Angenfort – ein Fall von Unrechtsjustiz in der frühen Bundesrepublik Deutschland
Am kommenden Dienstag werden in Düsseldorf Familienangehörige, Freunde und Kampfgefährte Abschied von Josef (Jupp) Angenfort nehmen, der am 13. März im Alter von 84 Jahren verstorbenen ist (s. ND 16.3.) Mit keinen anderen Kommunisten »befassten sich die Instanzen so nachhaltig wie mit ihm«, war im März 1969 im »Spiegel« zu lesen. »Und so geriet Josef Angenfort zum fatalen Symbol politischer Strafverfolgung, die im Kalten Krieg allzu hitzig verfuhr.« Im Internetdienst Wikipedia ist über ihn zu lesen: »Gegen ihn wurde wohl das erste Zuchthausurteil eines bundesdeutschen Gerichts wegen einer politisch motivierten Straftat nach 1945 gefällt, das höchste Strafmaß, das überhaupt in dieser Zeit gegen einen Kommunisten verhängt wurde.«
Der langjährige Vorsitzende der westdeutschen Freien Deutschen Jugend (FDJ) Jupp Angenfort war am 3. März 1953 unter Bruch seiner Immunität als (jüngster) Landtagsabgeordneter der KPD verhaftet und am 4. Juni 1955 vom 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« und des »Vergehens der Zersetzung« zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Der »Fall Angenfort« ragt aus der Zahl von insgesamt rund 10 000, vornehmlich gegen Mitglieder der 1956 verboten KPD verhängten politischen Urteilen durch die Härte der Strafe und ihren Platz in der innenpolitischen Auseinandersetzung dieser Zeit heraus.
Das Entsetzen über das Strafmaß lässt sich aus den Worten von Walter Mentzel ablesen, der als Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion das Urteil in der Debatte über den Bundeshaushalt 1955/66 zur Sprache brachte. »Ist dieses Strafmaß überhaupt haltbar?« fragte der 1933 von den faschistischen Machthabern aus dem Amt gejagte Jurist, der mit Angenfort im nordrhein-westfälischen Landtag und zeitweilig Innenminister von Nordrhein-Westfalen gewesen war. »Vergleicht man dieses Urteil mit den milden Urteilen gegen Kopfjäger aus den hitlerschen KZs, gegen viehische Mörder, die nachträglich noch begnadigt werden, dann ist man empört darüber, dass Menschen vor dem Richterstuhl so behandelt werden. Wir sind in Westdeutschland wieder soweit, dass alle Gegner des Bundeskanzlers als Bolschewisten oder des Hochverrats angeklagt werden.«
Nicht minder massiv die Kritik des sozialdemokratischen Staatsrechtlers Professor Wolfgang Abendroth. Der BGH sei mit dem Urteil gegen Angenfort »weit über das hinausgegangen, was er sich bisher geleistet hat«. Fünf Jahre Zuchthaus seien eine Strafe, »die für das gleiche Delikt noch in den ersten Jahren des Dritten Reiches gar nicht hätten verhängt werden können, weil drei Jahre Zuchthaus die Höchststrafe für die Vorbereitung eines Hochverräterischen Unternehmens war«.
Die von Walter Mentzel angesprochene Rolle des BGH als Instrument zur Verfolgung der Gegner der Regierungspolitik hatte Ernst Müller-Meiningen, einer der kritischsten Beobachter der Bonner Politik, bereits im Vorfeld des Karlsruher Urteilsspruches auf folgenden Nenner gebracht: »Die meisten jener Hochverratsprozesse gegen verhaftete Kommunisten stehen auf ausgesprochen schwachen Füßen. Die Anklagepunkte sind rasch aufgezählt; es sind im wesentlichen zwei: erstens Agitation gegen die ›Remilitarisierung‹ ... zweitens Werbung für die Wiedervereinigung Deutschlands.«
Bis heute haben sich die Regierenden nicht dazu aufraffen können, die (nicht nur) vom »Spiegel« konstatierte »allzu hitzig« gefällten Urteile der politische Strafjustiz der 50er Jahre als Unrecht anzuerkennen und die Opfer zu rehabilitieren. Das Thema soll sich offenbar »biologisch« erledigen. Die seit fast 20 Jahren von der PDS- bzw. Linksfraktion im Bundestag eingebrachten Anträge sind stets abgelehnt worden. Ein Antrag aus der vergangenen Legislaturperiode harrt in irgendeinem Ausschuss der Wiedervorlage.
Im Dokumentarfilm »Als der Staat rot sah – Justizopfer des Kalten Krieges« (2006) über die Kommunistenverfolgung in der BRD von 1951 bis 1968 kam auch Jupp Angenfort zu Wort. Mit einer Rehabilitierung würde er zu Lebzeiten nicht mehr rechnen, sagt er dort. »Aber wenn wenigsten einer käme und sagte: ›Jung, wir haben dir Unrecht getan. Entschuldige ...‹« Jedoch selbst dieser bescheidene Wunsch blieb ihm verwehrt.
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