Fehlfarben
Sie sind kein Traditionsverein
Legendäre alte Bands, die vor ihren wohl gesonnenen Besuchern 30 Jahre alte Hits anstimmen, gehen gewöhnlich nach einem festen Drehbuch vor: Zunächst wird die Grundharmonie des betreffenden Stücks wie ein Klangteppich über das Publikum gelegt. Dann folgt als zweite Gedächtnisstütze ein zitierendes Anspielen charakteristischer Teile des jeweiligen Refrains. Wer dann noch immer nicht draufgekommen ist, kann durch direkte Animationsgesten ins Bild gesetzt werden. Am Ende jedenfalls brennen die Wunderkerzen und feiert sich das Wir der »Fans« bereits Minuten vor dem ersten Akkord.
Auch die Fehlfarben haben sich und den Konzertgästen am Freitagabend ein paar solcher Momente geleistet, als sie im Festsaal Kreuzberg vor einem Publikum auftraten, das in großen Teilen aussah, als habe es eine gut gepflegte 1980-Originalpressung von »Monarchie und Alltag« in der Vinyl-Abteilung des Plattenschranks. Doch ließen sie die Zuhörer bis ganz zum Schluss, zur dritten Zugabe, warten, bis ein dunkles Wummer-Brummen »Paul ist tot« ankündigte, den zwar nur zweitgrößten, aber legendärsten Hit der Düsseldorfer Ur-Independent-Band. Endlich gab es was zum Mitsingen: »Was ich haben will, das krieg’ ich nicht / und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht.«
Ansonsten aber erweckte die Band um Sänger Peter Hein am Freitagabend den Eindruck, noch immer vor ihrem 80er Mythos zu fliehen: Mit der erwähnten Ausnahme der Schlusshymne spielte sie gerade ihre alten und berühmten Stücke in einer bewusst verhuschten, skizzenhaften Weise; einige der Traditionsnummern wurden sogar respektlos in einem Potpourri zusammengekleistert. Ein widerspruchsfreies kollektives Zelebrieren der wilden und vermeintlich guten alten Zeiten konnte so über weite Teile des Abends kaum aufkommen, und man darf davon ausgehen, dass Peter Hein damit gar nicht so unglücklich war – gerade in Kreuzberg.
Denn dass die Fehlfarben – vor allem wegen des eigentlich Band-untypischen, vom Funk inspirierten Stücks »Ein Jahr«, das 1982 gegen den Willen von Peter Hein als Single herauskam und fortan auf kaum einer Demo nicht aus dem Lautsprecher knarzte – von der Hausbesetzerwelle der frühen Achtzigerjahre quasi zur offiziellen Szeneband ernannt wurden, hatte dem Querkopf vom Rhein schon früher nicht so recht behagt. Zumal »Monarchie und Alltag« bei einer Tochter des kommerziellen Großverlags EMI erschienen war und es deshalb stets auch »Verräter«-Rhetorik gegeben hat. Hein jedenfalls zog sich schon 1981 in ein ganz normales Berufsleben bei einer Kopiererfirma zurück.
Seit er den Job los ist, werden die Platten der Fehlfarben wieder ambitionierter. 2002 erschien mit »Knietief im Dispo« das erste Album, dem man die Absicht anmerkte, einen neuen Anlauf zu nehmen. Auf dieser Linie liegen auch das 2007er-Album »Handbuch für die Welt«, das auch aus Musik-fernen Gründen über ein Fachpublikum hinaus kaum bekannt wurde sowie die aktuelle Publikation »Glücksmaschinen«: Peter Hein, der auf den Achtziger-Nummern stimmlich – oft im Gegensatz zum vergrübelten Text – stets so überscharf, entschieden und deklamatorisch klang, hat inzwischen das Singen entdeckt und wirkt manchmal sogar ein wenig maniriert. Der Sound der Gruppe wirkt insgesamt weniger monolithisch, komplizierter, aber auch freier. Im Genre des Punk-affinen Independent-Rock ohne Synthesizer-Aversion erfinden die Fehlfarben 2010 zwar das Rad mit Sicherheit nicht neu. Das haben sie aber vor 30 Jahren schon getan.
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